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Folge 35 vom 6. Mai 2007

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Zu Hause nahm Stefan ein Fußbad und rieb die schmerzenden Druckstellen mit Latschenkiefernextrakt ein. Im Kleiderschrank räumte er die Damenunterwäsche nach hinten und stapelte die Neuerwerbungen davor. Er tauschte den Slip gegen eine Unterhose und fand sich schon gut gekleidet. Damit vergaß er den Vorsatz an Kasse 2.

Nach dem Essen legte er sich zum Lesen auf das Sofa. Das Sommerkleid lenkte ihn ab, mal zog er den Saum nach unten oder strich den Stoff glatt, mal schob er ihn über die Knie hoch, bis ihm das Getue lästig wurde und er begriff, warum er sich ständig mit dem Kleid beschäftigte: Es vermittelte ihm den Eindruck, ein anderer Mensch zu sein. Eine andere Frau.

Stefan ging ein paar Schritte durch den Raum und schloss die Augen. Auf der Straße hatte der fließende Stoff angenehm auf der Haut geprickelt und er versuchte, die Erinnerung an diesen Eindruck zurück zu holen. Er stelle den Ventilator aus dem Einbauschrank in der Diele auf den Couchtisch. Der Kleiderstoff legte sich im Luftstrom um seine Hüften und die Beine. Stefan drehte sich und ging auf und ab, doch der erhoffte Sinneseindruck blieb aus.

Du bist albern, urteilte er schließlich, wenn dich eine deiner Freundinnen beobachten könnte, würde sie dich für verrückt erklären. Im gleichen Atemzug sprach er sich von allen Vorwürfen frei. Weil die Situation verrückt war, würde er mildernde, besser gesagt verrückte Umstände geltend machen.

Nur zögernd trennte er sich von dem Sommerkleid. Zwischen dem Entschluss, das Kleid auszuziehen und dem Öffnen des ersten Knopfes lagen einige Minuten Leere in seinem Kopf, als sei der Verstand ausgeschaltet worden.

»Das Kapital Frau ist abgeschlossen«, sagte er laut, um den Vorsatz zu bekräftigen.

Mit einer Flasche Rotwein in Reichweite versenkte er sich in seine Literatur. Stefan Bruhks las sich großartig, lobte er sich, er schmunzelte über pointierte Formulierungen, bewunderte präzise Beschreibungen, die ein Auge für das Detail verrieten, und ließ sich von Stimmungsbildern tragen. Die Schmach des Vormittags verblasste allmählich.

Der mit Hoffnungen und Enttäuschungen gefüllte Plastikhefter lag noch auf dem Wohnzimmertisch. Zuerst schenkte ihm Stefan keine Beachtung, dann tauchte der Hefter als roter Farbfleck in seinem Gesichtsfeld auf, wurde wenig später wahrgenommen, in Gedanken in das Regal zurückgestellt, lag noch immer auf dem Tisch, höhlte die Konzentration aus und schob sich dann ganz nach vorne in sein Bewusstsein. In der roten Mappe war ein wichtiger Teil seines Lebens abgeheftet, an den er sich absolut nicht erinnern konnte.

Stefan legte das Manuskript an die Seite. Er fächerte den abgehefteten Papierstapel mit dem Daumen durch. Am untersten Brief blieb er hängen. Der erste Versuch, wahrscheinlich klebte Herzblut daran. Der Brief war ein kleines Meisterwerk der Prosa und voll unbekümmerter Hoffnung. Acht Wochen später kam die freundliche Absage.

Stefan las sämtliche Briefe. Seine verloren zunehmend an Schwung, wurden illusionsloser und nüchterner – bei Nichtgefallen Rückgaberecht innerhalb von sechs bis acht Wochen, lautete die Botschaft, dass er sich im Grunde nicht wundern durfte, wenn er eine Absage bekam. Die Antworten blieben immer gleich höflich und enthielten zuhauf unverbindliche Wünsche für weiteres Gelingen.

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