StartseiteAlmtraumFolge 34 vom 5. Mai 2007

Folge 34 vom 5. Mai 2007

Stefan schöpfte Hoffnung und schaltete sich ein. »Ich weiß auch nicht, was über mich kam, ich war einfach hingerissen, und ein Preisschild war auch nicht dran. Ich stand noch an der Kasse, als mich Herr Bichler abführte, ich wollte auch, aber dann …«

»Herr Ralzinger«, ereiferte sich der Detektiv. »Bei R&C zählt nur der Tathergang, oder? Der Schwund, bezogen auf den Umsatz, war im letzten Jahr – wie viel Prozent?« Bichlers Zeigefinger wippte aufgeregt am ausgestreckten Arm auf und ab und wies auf die Monitore. »Wollen Sie einen Blick in das Erdgeschoss werfen? Damenunterwäsche. Was man – was sie – notwendig fürs Bett braucht. Ich wette, ich brauche keine zehn Minuten, dann habe ich eine erwischt. Instinkt!« bekräftigte Bichler.

»Schon gut.« Der Direktor bewegte sich unschlüssig und bekam wegen der Enge des Raumes kein Auf und Ab zustande. »Ihre Sichtweise ist zu rechteckig, Bichler. R&C ist ein weltoffenes Haus, ohneVorurteile, wir diskriminieren nicht …«

Bichler warf die Arme in die Luft. »Diskriminirrn?« Seine Aussprache färbte sich mit Dialekt ein. »Mir? Na!«

»Regen Sie sich doch nicht künstlich auf, Bichler!«

»I?« Die kurzen Beine des Detektivs knickten ein, so dass er seinen Kopf weiter in den Nacken biegen musste, um seinen Chef aus der noch tieferen Warte anzustarren. »Iiiii ?«

»Unerträglich, Bichler, wie lang Sie eine dermaßen kurze Frage ziehen. Und reden Sie wieder deutsch«, forderte Ralzinger, mehr flehend als befehlend. »Sie wissen doch, wie wenig mir das Volkstümliche liegt.«

»Dis-krimi-nieren«, blies Bichler heraus.

Sein Chef unterbrach ihn erneut. »An dem Wort haben Sie aber mächtig Gefallen gefunden.«

Bichler schluckte. »Bei uns darf jeder klauen«, fuhr er fort, »Schwarze, Weiße, Moslems, Juden, Asylbewerber, Schwule, Lesben, sogar Deutsche, christliche oder unchristliche, Bayern oder Preußen – wir machen da keine Unterschiede!« Bichlers Zeigefinger wedelte hin und her. »Nur erwischen lassen darf er sich nicht von mir! Oder sie – wir wollen doch niemanden diskriminirrn!« Bichler drehte den Kopf und fixierte seine Beute.

»Jetzt reicht es aber, Bichler«, sagte Herr Ralzinger mit resignierender Milde. Der Verweis lag in der geringfügig lauteren Stimme. »Notieren Sie die Personalien und fassen Sie in Gottes Namen die Anzeige ab. Ich möchte den Vorgang allerdings sehen, bevor er an die Polizei geht.«

Bichler nickte.

»Und geben Sie ihm die Perücke zurück. Sie steht ihm so gut.«

Bichler sperrte den Mund auf und brachte kein Wort heraus.

»Hat er sie entwendet, oder nicht?« Ralzinger sah seinen Detektiv nicht an, sondern beschäftigte sich mit dem perfekten Sitz seiner Krawatte. »Und weil er das Diebesgut gleich mitnimmt, erlassen wir ihm auch die hundert Euro pauschale Bearbeitungsgebühr für die Anzeige.«

Stefan erwachte aus seiner sprachlosen Verwunderung. »Danke, Herr Ralzinger«, sagte er, und: »Verzeihung!«

Der Kaufhausinhaber musterte Stefan. »Wenn Sie wieder einmal Appetit auf ausgefallenen Geschmack haben, kommen Sie zu R&C. Mein Büro hilft bei Problemen. Ich liebe zufriedene Kunden. In soweit – wir stehen auf Ihrer Seite.«

Zehn Minuten später verließ Stefan das Kaufhaus. Auf dem Kopf trug er die blonde Perücke, an der Hand die Einkaufstüten. Der Umstand, dass er die Hose irrtümlich nicht bezahlt hatte, reichte nur für einen kurzen Moment der Freude. Auch die vage Hoffnung, der Diebstahl könnte dank Herrn Ralzinger glimpflich ausgehen, konnte ihn nicht beruhigen. Eine Mordswut wühlte in seinem Innern. Der oder die, die ihn in diese Situation gebracht hatten und Verantwortung für den Inhalt seines Kleiderschrankes trugen, sollten sich vorsehen. Und natürlich Alfred Hirngespinst, falls er jemals die Absicht haben sollte, in diede Welt zu treten.