StartseiteAlmtraumFolge 30 vom 1. Mai 2007

Folge 30 vom 1. Mai 2007

Stefan glaubte zu schweben. Er ignorierte die Druckstellen und genoss den schwingenden Gang, mit den Zehballen anstatt mit den Fersen aufzutreten. Nur der ausgestopfte BH beeinträchtigte das Körpergefühl und störte die Illusion. Gerne hätte er jetzt richtige Brüste gehabt. Auf der anderen Straßenseite bemerkte er einen freien Tisch vor einem Café.

Sie überquerte die Piazza, die menschenleer in der Mittagsglut lag. Der gleichmäßige Takt der Schritte störte die Ruhe. Die Männer, die dösend im Schatten unter den Arkaden saßen, folgten ihr mit Blicken durch die Wimpern halbgeschlossener Augen. Sie hielt den Kopf stolz erhoben und atmete die flirrende Spannung.

Stefan bestellte Capuccino. Ob die Männer ihr nachschauten oder sie sogar ansprechen würden? Vergeblich versuchte er, sich sein Spiegelbild ins Gedächtnis zu rufen. War sie hübsch?

Hübsch? Du bist ein attraktives Mannsbild. Reicht dir das nicht?

Stefan schluckte. Er hatte andere Sorgen, als seine Wirkung als Frau auszuprobieren, einfach und geräuschlos wollte er in die Welt der Männer zurückkehren. Was er hier trieb, sollte keine Clownerie sein, sondern war Notbehelf. Die eigentliche Bewährungsprobe lag noch vor ihm, bei R&C, auch wenn er in einem großen Bekleidungshaus in der Menge der Kunden weniger auffallen würde. Außerdem konnte er bargeldlos zahlen.

Bei den Herrenartikeln kauften auch andere Frauen ein. Stefan fühlte sich dazu gehörig. Wenig später stand er mit einigen Garnituren Unterwäsche, Strümpfen und Freizeithemden an der Kasse. Der Drucker ratterte, ein Ratsch – »Unterschreiben Sie bitte.« Die Kassiererin legte den Beleg auf die Theke und hielt ihm einen Filzstift entgegen.

Die Scheckkarte trug den Namen Stefan Bruhks.

Schweißtropfen rannen ihm den Rücken herab. Hinter ihm stellten sich zwei Kundinnen an.

»Hier.« Die Kassiererin wies auf die weiße Stelle des Belegs.

Er unterschrieb mit Stefan Bruhks.

Die Kassiererin nahm die Karte und verglich umständlich die Daten.

Frag, ob die Zahlung durch die Bank bestätigt wurde.

Stefan schloss für einen Moment die Augen. »Ist die Lastschrift nicht durch die Bank bestätigt?« fragte er wie jemand, dem Zweifel an der Bonität nicht lästig, sondern lächerlich erscheinen.

»Die Lastschrift ist in Ordnung«, antwortete die Kassiererin. Sie schaute suchend durch den Verkaufsraum. »Herr Bichler?« fragte sie, halblaut und zögernd.

»Was ist?« drängte Stefan.

Die Kassiererin machte ein unschlüssige Handbewegung. Dann gab sie ihm die Karte zurück.

Stefan widerstand der Versuchung, einfach davonzulaufen. Nur mit einer Hose konnte er den Alptraum ein für allemal beenden, am besten Jeans, eine für alle. Er studierte die Acrylglastafel an der Rolltreppe. II. Obergeschoss, Herrenbekleidung.