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StartseiteAlmtraumFolge 29 vom 30. April 2007

Folge 29 vom 30. April 2007

Neben einem roten Polo blieb er stehen. Unschlüssig beäugte er das Auto, als wäre er einem ihm unbekannten Modell begegnet. Ob dieses Auto zu dem Wagenschlüssel in seiner Handtasche gehörte? Er probierte – die Fahrertür öffnete sich. Aha, dachte Stefan, man muss den Dingen begegnen, um sie mit Leben zu füllen. Was er jetzt noch brauchte war eine Karte, um überall dorthin zu gelangen, wo er Teile seines Lebens finden würde.

Du hast doch mich.

Bleib ruhig, ermahnte sich Stefan. Vor dem Schuhgeschäft erwischte er einen Parkplatz und, als gäbe es für solche profanen Glücksfälle eine ausgleichende Gerechtigkeit, zerkratzte er sich beim Einparken die Radkappe an der Bordsteinkante.

Typisch einparkende Frau.

Die ironische Milde, das nachsichtige Lächeln in der Stimme nahm Stefan nicht wahr. Nervös stieg er aus dem Wagen. Die beinahe schon vergessene Stimme, die ihm anfangs ständig erzählt hatte, er sei ein Mann, meldete sich in einem denkbar ungünstigen Augenblick zurück, in dem er sich voll darauf konzentrieren musste, eine Frau zu sein.

Vom Auto hastete Stefan in das Geschäft, direkt in die Arme einer Verkäuferin.

»Damenschuhe sind weiter hinten.«

Hatte die Verkäuferin etwas gemerkt? Sie schaut mir direkt durch die Unterwäsche, dessen war er sich sicher. Diese verdammte Hitze!

Wahllos nahm er einen Damenschuh aus dem mit 41beschrifteten Regalfach und setzte sich in einen Sessel. Die Länge stimmte, die Weite nicht. Immerhin kannte er jetzt seine Schuhgröße. Verstohlen schob er die Badelatschen mit einem Fuß unter den Sessel.

»Soll ich Ihnen ein Paar Strümpfe bringen?« fragte die Verkäuferin.

Stefan starrte die Verkäuferin verständnislos an. Das war eine Komplikation, mit der er nicht gerechnet hatte.

»Anproben mit nackten Füßen – es soll doch alles hygienisch sein, nicht wahr?«

Stefan nickte. Während die Verkäuferin die Strümpfe und den anderen Schuh holte, flitzte er in die Herrenabteilung und griff sich Sportschuhe aus einem Sonderangebot. Basketball-Imitat. Zusammen mit Jeans wäre er damit für fast jede Gelegenheit als Mann perfekt gekleidet.

Die Verkäuferin reichte ihm ein Paar Nylonsocken. Wie viele Frauen hatten die Socken wohl vor ihm benutzt?

Er entschied sich für hellbraune Schuhe mit halbem Absatz. Hoch genug, um ihm den typisch weiblichen Gang zu vermitteln. Die Schuhe saßen knapp, noch eben erträglich. Tausend Meter bis zur ersten Blutblase, schätzte er. Er habe ungewöhnlich breite Füße, bemerkte die Verkäuferin.

»Ich lasse sie gleich an«, sagte Stefan, während er die Strümpfe auszog. Seine Stimme kiekste erst und fiel dann eine halbe Oktave tiefer. »Und den Karton brauche ich auch nicht.«

»Soll ich Ihnen denn nicht …« Die Augen der Verkäuferin suchten den Boden um ihn ab.

Fünf Minuten später hatte er neunundvierzig Euro ausgegeben und trat auf die Straße.