Die Tür zum Hof quietschte über eine Steinfliese und fiel dann ungehemmt ins Schloss. Die Scheibe saß nicht mehr fest im Kitt und klirrte. Martha Sedlberger, Erdgeschoss links, humpelte über den Hof, einen Abfalleimer in der Hand. Ich taxierte kurz das Gewicht des Abfalls und blieb sitzen. Die Witwe Sedlberger musste um die siebzig sein. Sie trug ihren dunklen gemusterten Alltagskittel und die täglich gleichen dauergewellten grauen Locken.
»Die Hitz, na, die muss net ins Haus«, tadelte sie mit ihrer hohen Stimme, bei der ich die Augen zukneifen musste, um sie zu ertragen.
»Jo mei«, antwortete Kallweit, »die Sonja.«
Frau Sedlberger schloss heftig den Deckel der Mülltonne und drehte wortlos ab. Ich beobachtete das ungleichmäßige Auf und Ab der Hüften. Den Dreiklang der Hoftür – quietschen, zuschlagen, klirren – ersparte sie uns nicht.
Mir wäre nie in den Sinn gekommen, wie Kallweit einen Teil meiner Freizeit hier im Hof zu verbringen. Der Hof war für mich die Heimat der Mülltonnen, die Kallweit jeden Mittwoch an die Straße rollte und geleert an ihren Platz zurück brachte, eine triste Enge, die meine Gedanken erdrückte, und ein Symbol für Schmutz und Vernachlässigung. Aus den Mauern rechts und links drängten Backsteine durch den platzenden Putz ans Licht, vom Nachbarhaus lehnte sich ein baufälliger Schuppen an. In einer Ecke rostete ein Holzkohlengrill, daneben lagen die Reste eines Sandhaufens, auf dem Hundekot thronte. Grün gab es nur angrenzend zum gegenüber liegenden Haus, ein alter vielastiger Holunder, eine Forsythie und einige Edeltannen, die vor Jahren das Weihnachtsfest unbeschadet überstanden hatten.
»Du bis doch auch nich von hier«, nahm Kallweit das Gespräch wieder auf.
»Bochum.«
»Kein Wunner, dasse kein Buch verkaufen kanns. Wennze genauso kurz angebunn schreibs wiede sprichs …«
»Achtenneunzig!« brüllte Sonja und strahlte mich an. »Neuen Rekord!«
»Glückwunsch«, rief ich ihr zu.
»Wir sinn aus Doartmund. Warn Großauftrach für ne ganze Neubausiedlung. Dabei hat sich der Alte übernomm. Obbich nun in Doartmund sitz oda hier, is sowieso egal. Olga gefiel das Blauweiß auch ganz gut unda sinnwe gleich hier gebliem. An dat Bier kannze dich auch gewöhn.«
Ich schob die Versuchung an eine heimatliche Verbrüderung an die Seite. Die Fußballfans beider Städte mögen sich auch nicht besonders, wusste ich aus der Zeitung.
»Hammse Vawandte in Bochum?«
Die Frage war mir einfach so herausgerutscht. Kallweit guckte genauso komisch wie vor Tagen bei mir in der Wohnung.
»Willze mein Stammbaum haam?«
»Wo ich aufgewachsen bin, gibt es in der Nähe eine Klempnerei Kallweit. Ich dachte nur so.«
»Du denks zu viel.«
Jetzt war Kallweit zu weit gegangen.
»Das Denken unterscheidet uns Menschen von anderen Spezies«, belehrte ich ihn. »Mit einer Einschränkung. Es gibt Tendenzen zum Einheitsgedanken, wie ich es nenne, so eine Art genormte Betrachtungsweise. Das müssen Sie sich wie einen Hamburger von McDonalds vorstellen – jeder hat die gleiche Größe und das gleiche Gewicht. Nun darf der Gleichheitsgrundsatz uneingeschränkt für unsere Rechte gelten«, dozierte ich, »das heißt, jeder Mensch ist gleich, vor dem Gesetz, vor Gott, wie Sie wollen, das darf aber nicht als Alibi für allgemeine Volksverdummung herhalten. Schauen Sie sich das Fernsehen an: Auf jedem Kanal gibt es Quoten-Einheitsbrei auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner! Hauptsache, jeder versteht es. Oder überspitzt ausgedrückt: Je dümmer, je besser.«