StartseiteAlmtraumFolge 112 vom 22. Juli 2007

Folge 112 vom 22. Juli 2007

Vom Gipfel bis zum Steinkarsattel, der den Priacher und die Karner Kalkspitze miteinander verbindet, glich der kahle Hang einer kleingeschotterten Piste. An einigen rutschgefährlichen Stellen war gegenseitiger Halt nach Art einer Seilschaft geboten, und so nahm Bettina ohne Zögern die ihr entgegen gestreckte Hand an, während Stefan die Lösung dieser Zweckbindung eher hinauszögerte und dann glaubte, mit dem Loslassen etwas verloren zu haben.

Am Steinkarsattel trafen sie auf einen Wegweiser mit vier Armen, für jede Himmelsrichtung einen. Ein säuberlich aufgeschichteter Steinhaufen hielt den Holzpfahl aufrecht. Sie gingen ein Stück hinunter bis an eine Wegkehre, von der sich ein Fernblick in das Gitzlachtal und über den Gitzlachsee bot. Wenn Aussichten schwer wiegen würden, meinte Stefan, würden sie kaum den Weg zurück über den Steinkarsattel schaffen. Sie entschieden, für den Rückweg zur Hütte den Tauernhöhenweg bis zum Oberalmsattel zu nehmen. Die Wanderzeit war am Wegweiser mit einer Stunde angegeben, doch brauchten sie eine Viertelstunde mehr, weil Stefan in den steileren Abschnitten wegen seiner schmerzenden Knie pausierte. Die aufsteigenden Touristen begrüßten sie artig mit Grüß Gott.

Vom Oberalmsattel aus konnten sie die Ebene überblicken, über die sie im Schnee von der Hütte aus gewandert waren.

»Da sind Leute!« sagte Bettina überrascht und streckte den Arm aus. »Ich hatte gedacht, wir seien ganz weit abseits – die müssen direkt an unserer Hütte vorbeigekommen sein!«

Stefan erinnerte sich an seine Lüge an der Wegmarkierung. »Vermutlich wandern sie nach einer alten Karte. Der Weg führt über die Decker-Alm, nicht an unserer Hütte vorbei. Über den auch die Kühe auf die Alm kommen.«

»Welten liegen nicht dazwischen«, meinte Bettina vorwurfsvoll.

»Alte oder neue Wege«, schnitt er die Diskussion ab, »bei Schnee sind sie nicht passierbar.«

Bettina sagte nichts weiter dazu. Sie stiegen den Sattel auf einem ausgetretenen Pfad hinab, bis Stefan plötzlich rechts abbog und ein sumpfiges Stück Wiese umging. Durch ein Latschengehölz gelangten sie auf den Hügel, an dessen Fuß sich die Walln-Alm ausbreitete.