StartseiteAlmtraumFolge 113 vom 23. Juli 2007

Folge 113 vom 23. Juli 2007

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»Unsere letzte Flasche Rotwein«, verkündete Stefan, »ein Cabernet Sauvignon, kaum ein Jahr alt. Eine miese Lebenserwartung. Post mortem gibt es Bier, Schnaps und Fruchtsaft.«

Bettina kostete. »Feine Supermarktqualität. Das Gläschen Wein macht mich neugierig, unter welchen Umständen der Stall auf der Decker-Alm nieder brannte.«

»Wollen Sie dieses düstere Kapitel in meinem Leben tatsächlich aufschlagen?«

»Wenn Sie die Sache schon ins Lächerliche ziehen, kann es mit der Düsternis nicht weit her sein. Darf ich eine Prognose wagen? Ich schätze, meine Entführung war die bisher schwärzeste Tat in Ihrem Leben. Soll ich die Petroleumlampe höher drehen?«

»Besser nicht. Die Flamme rußt, wenn sie zu groß ist.«

»Gut. Legen Sie los.«

»Kaum, dass ich die Hütte gepachtet hatte«, begann er, »setzte sich in mir ein großer Traum fest: Eine Silvesterfeier auf der Alm ist nicht nur romantisch, auch außergewöhnlich und abenteuerlich. Die Hütte ist im Winter die meiste Zeit unter Schnee begraben, wie mir der Lugleitner erzählte. Bei gutem Wetter fährt man am Tauernpass mit dem Lift hoch, dann geht es mit Skiern auf und ab über die Hügel bis zum Oberalmsattel und durch das Priachtal hinunter bis Josephskirch.«

Bettina zog die Augenbrauen zusammen. »Ist die Tour nicht zu gefährlich, abseits jeder Piste?«

»Der Weg ist nicht das Problem, den sind wir häufig gewandert. Das Wetter ist entscheidend. Ich habe die Tour gemacht, vor fünf Jahren, zusammen mit John und Margot. John heißt bürgerlich Johannes, aber das ist ein lächerlicher Name für jemanden, der im Rotlichtmilieu etwas darstellen will.«

Bettina atmete hörbar durch.

»Als ich anfing zu schreiben ging es mir finanziell nicht besonders gut.«

»Und da haben Sie Frauen für sich anschaffen lassen?«

»Herrgott«, fauchte Stefan, »wenn wir uns in einem ähnlich sind, dann mit unpassenden Bemerkungen.« Bettina wollte etwas entgegnen, doch er sprach weiter. »Ich habe mich mit Taxi fahren über Wasser gehalten. An einem Sonntagvormittag ist mir ein Mann beinahe in den Wagen gelaufen. Er riss die Tür hinten auf und warf sich auf die Rückbank. Fahr los! brüllte er, und ich gab Gas. Die Tür flog gegen seine Beine und der Mann schrie vor Schmerz: Abbiegen! Ich bog links in die nächste Nebenstraße ein. Durch das Seitenfenster sah ich, wie ein Mann auf die Straße lief und sich umschaute, dann waren wir um die Ecke verschwunden. Mein Fahrgast kroch ganz in den Wagen und schloss die Tür.

Schwein gehabt, sagte er, wenn die dein Kennzeichen mitbekommen hätten, wärst du geliefert. Ich war zu geschockt, um mir Gedanken über Tragweite und Konsequenzen dieser Bemerkung zu machen.

Wir brauchen einen anderen Wagen, sagte er dann. Jetzt begriff ich erstmals, dass ich kein Taxifahrer mehr war, sondern unfreiwillig in einem Boot saß, das nicht von mir gesteuert wurde.

Mein Wagen steht zwei Straßen weiter, sagte ich ohne zu überlegen, und der Mann befahl, ich solle mich beeilen. Ich fuhr zu Moosbauer auf den Hof, dort wo ich Sie auch umgeladen habe, ließ den Schlüssel stecken und holte meinen Wagen.

Wunderbar, sagte der Kerl zu meinem Schrotthaufen. Beim Einsteigen hatte ich erstmals die Ruhe, mir den Mann anzuschauen, der so besorgniserregend in mein Leben eingedrungen war. Er war etwas älter als ich und hatte ein festes Gesicht, dem ich ansah, dass es zu befehlen gewohnt war. Das Lächeln war mir eine Spur zu gewöhnlich, der Gesamteindruck nicht bedrohlich. Er nannte mir eine Adresse und ich fuhr los. Während der Fahrt gab er laufend Anweisungen, wo ich herfahren sollte. Kurz vor dem Ziel musste ich anhalten und parken.

Wollen Sie nicht aussteigen?, fragte ich nervös.

Wir warten hier, Kleiner, sagte er.

Wir warteten eine halbe Stunde.

Du hast mir das Leben gerettet, Kleiner, die wollten mir nämlich an den Kragen, sagte der Mann plötzlich. Spielschulden. Ich hab’ jetzt keine Kohle, aber ich werd’ mich revanchieren. Ich heiße John. Du kannst mich im Blue Moon erreichen. Dann sprang John aus dem Wagen und verschwand um die Häuserecke.«

Stefan füllte die Gläser nach.

»Sind Sie sicher, dass Sie das tatsächlich erlebt haben?« fragte Bettina.

Stefan schlug mit dem Handballen auf den Korken. »Sie wollten doch hören, wie es zum Brand auf der Decker-Alm kam.«

»Erstens habe ich Ihre Phantom-Geschichte gelesen, und zweitens ist mir die Anrede Kleiner schon häufiger untergekommen.«

»Für die Klischees anderer kann ich nichts. Später habe ich John erklärt, im Umgang mit einem Schriftsteller müsse er auf abgegriffene Floskeln verzichten.«

»Hat er?« wollte Bettina wissen.

»Er hat.«