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Erstes Kapitel
Als die Lektorin Stefanie eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett zu einem erfolglosen Schriftsteller verwandelt.
Stefanie wollte ihr blondes Haar bändigen, das sich jede Nacht im Schlaf widerspenstig ausbreitete, und suchte, noch mit geschlossenen Augen, nach den Strähnen. Überrascht setzte sie sich auf. Aus der verspiegelten Tür des Schlafzimmerschrankes blickte ihr ein Gesicht entgegen, welches ihr eigenes hätte sein können, wenn es nicht durch das Dunkelblond und den männlich kurzen Schnitt verfremdet worden wäre.
Stefanie schrie, fasste sich an den Kopf und glaubte, der böse Traum müsse gleich vorbei sein. Vorsichtig spähte sie durch die Finger.
Es war kein Traum.
Ein merkwürdig gespanntes, bisher unbekanntes Gefühl machte sich in ihrem Schoß breit. Erstaunt tastete sie unter der Bettdecke, griff arglos zu und fiel in Ohnmacht.
Ich drehte die Walze mit dem Blatt nach oben, um den Text besser lesen zu können. Der Anfang ist gelungen, lobte ich mich, du hast der Lektorin einen ordentlichen Schock versetzt. Wie sollte ich die Geschichte weiterspinnen? Ich könnte Stefanie nach Belieben quälen, doch fehlte mir dazu das nötige Maß an Sadismus. Die Arme war wehrlos, sie sollte nur ein bisschen leiden.
Mehrfach las ich die fünf Absätze, bis die Szene wie ein Film in meinem Kopf ablief. Seltsam war, dass ich den Mann in dunkelblond nicht sah, sondern eine attraktive Frau mit blonder Löwenmähne.
Neben der Schreibmaschine lag noch das blindlings aus dem Regal gegriffene Buch. Ich öffnete den Deckel. Alles Gute zum Geburtstag, Pia.Richtig, der Kafka war ein Geschenk von Pia. Ich hatte mir zwar ein Literaturlexikon gewünscht, doch 49 Euro waren wohl zuviel für eine Studentin. Ich bekäme das Literaturlexikon, wenn ich drin stehen würde, hatte Pia gesagt, dann jedoch gleich die fünfzehnbändige Gesamtausgabe.
Ich stellte das Büchlein auch diesmal ungelesen ins Regal mit dem festen Entschluss, den unbekannten Kafka nicht weiter zu kopieren.
Stefanies nächste Wahrnehmung war eine große helle Fläche, die sie zunächst nicht zuordnen konnte. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie die Schlafzimmerdecke erkannte. Schlagartig war die entsetzliche Erinnerung wieder da. Mit einem lauten Schrei sprang sie auf, hieb einige improvisierte Karateschläge gegen das Bild in der Schranktür – umsonst. Mit Spiegelfechtereien kam sie nicht weiter.
Mit zwei Fingern hob sie das kurze Nachthemd.
Stefanies Nachbarin, die fünfundvierzigjährige ledige Verwaltungsangestellte Berta Böttcher, hörte den in ein wimmerndes Stöhnen übergehenden Schrei und presste die Lippen dünn zusammen. Die Bruhks hatte sogar morgens jemanden …
Der Text geriet mir aus den Fugen. In diese Richtung wollte ich eigentlich nicht hemmungslos werden. Seltsam, wie mir die Formulierungen zuflogen, als schreibe die Maschine und nicht ich. Verwunderlich war auch der eigentümlich melodische Anschlag. Hatte die Triumph einen eingebauten Resonanzboden?
Ich xte den letzten Satz durch. Neue Zeile.