Seit Monaten steht Bonnie Garmus mit ihrem Debütroman »Eine Frage der Chemie« weltweit ganz oben auf den Bestsellerlisten. Vor ihrer Lesung in Stuttgart sprach Wolfgang Tischer mit Bonnie Garmus über ihren Erfolg. Sie nennt einen Fehler, den Anfänger unbedingt vermeiden sollten. Außerdem analysiert ihre deutsche Verlegerin Felicitas von Lovenberg die Gründe, warum alle »Eine Frage der Chemie« lieben.
Auf Lesetour durch Deutschland
Für eine kleine Lesetour ist Bonnie Garmus im November 2023 nach Deutschland gekommen. In Stuttgart findet an diesem Abend der letzte von lediglich vier Terminen statt. Deutschland sei ihr durchaus vertraut, sagt Bonnie Garmus, denn die in den USA geborene Autorin hat einige Jahre in Zürich gelebt und war daher auch oft im Nachbarland. Mittlerweile lebt Garmus in London.
Vor ihrer Lesung treffe ich mich mit Bonnie Garmus in der Lobby ihres Hotels. Wie so oft muss ich feststellen, dass Star- und Bestsellerautoren meist die umgänglichsten und freundlichsten sind. Dabei hat der Erfolg sie mehr oder weniger über Nacht ereilt. Im April 2022, als ich als einer der ersten eine Rezension über »Eine Frage der Chemie« schrieb, gab es noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag zur Autorin. »Bonnie Garmus ist glaubhaft im Netz nicht zu finden«, schrieb damals jemand in den Kommentaren. Garmus schien ein Phantom zu sein. Konnte diese märchenhafte Autorinnengeschichte stimmen? Weltweit ersteigern Verlage die Lizenz für einen Debütroman, der 2020 auf der damals digitalen Frankfurter Buchmesse von einer Londoner Literaturagentur angeboten wurde. Für den deutschsprachigen Markt sichert sich der Piper Verlag die Rechte.
Bislang 6 Millionen verkaufte Exemplare
Seit dem Erscheinen Ende März 2022 ist »Eine Frage der Chemie« in den Top-10 der deutschen Bestsellerliste vertreten. In 42 Sprachen wurde das Werk mittlerweile übersetzt. Über 700.000 Exemplare wurden allein in Deutschland verkauft, weltweit seien es über 6 Millionen, berichtet Garmus‘ deutsche Verlegerin Felicitas von Lovenberg.
Hat man bei Piper von Anfang an an den Erfolg geglaubt? Ja, und man habe einiges für das Buch getan, sagt von Lovenberg, allerdings betont sie im Gespräch, dass man als Verlag keinen Bestseller »machen« könne, davon sei sie nach acht Jahren als Verlegerin überzeugt. Verlegen sei »Glaube, Liebe, Hoffnung«, und man verliebe sich oft in Bücher, die dann leider nicht zum richtigen Zeitpunkt breit genug gelesen werden oder der Funke springe nicht über. Auch Verlegen sei eine Frage der Chemie.
Doch nicht nur der Erfolg des Buches ist real, auch Bonnie Garmus gibt es wirklich, und sie berichtet im Podcast des literaturcafe.de von ihrem Erfolg. Wie hat sie es mit über 60 mit nur einem Roman zum Weltbestseller geschafft?
98 Absagen für das erste Manuskript
Sie sei Werbetexterin, sagt Bonnie Garmus, und viele Kollegen, die sie kenne, hätten einen Roman in ihrer Schublade. Auch Salman Rushdie und Kurt Vonnegut seien vor ihren literarischen Karrieren Werbetexter gewesen. Texten für die Werbung sei viel Handwerk und Textarbeit. Man lerne dort die Ökonomie der Sprache und dass man seine Leser nicht langweilen, sondern unterhalten solle. Und auch für eine Werbekampagne kreiere man oft Charaktere. Die Länge sei natürlich ein großer Unterschied zwischen Roman und Werbetext. Fünf Jahre schrieb Garmus neben ihrem Hauptberuf an »Eine Frage der Chemie«.
Davor habe sie jedoch noch einen weiteren Roman geschrieben. Den wollte aber niemand lesen, und sie erhielt 98 Absagen. Der Grund, sagt Bonnie Garmus, war schlichtweg der, dass der Text mit 700 Seiten für einen Debütroman einer unbekannten Autorin zu lang war. Das ist Garmus‘ Tipp an alle Autorinnen und Autoren: Kein einziger Agent nimmt solch ein umfangreiches Werk einer Erstautorin auf.
Wird dieses erste, nie veröffentlichte Buch jetzt nach ihrem Erfolg ihr zweiter Roman auf dem Markt sein? Nein, sagt Garmus, sie arbeite bereits an einer ganz anderen Geschichte. Lediglich ein paar Szenen habe sie übernommen.
In der Danksagung von »Eine Frage der Chemie« wird die englische Schreibschule Curtis Brown erwähnt. Natürlich wollte ich wissen, welchen Einfluss ein Schreibkurs auf den Roman hatte. Garmus sagt, dass sie eigentlich kein Fan dieser Schreibausbildungen sei, allerdings schätze sie sehr den Kontakt zu den anderen Autorinnen und Autoren, zumal sie neu in London war – und sie kam so in Kontakt mit ihrer Literaturagentin. Schließlich seien es sogar drei Agenturen gewesen, die an ihrem Manuskript interessiert waren. Nach den 98 Absagen für ihren ersten Text, habe sie das sehr überrascht.
Wie motivierte sie sich, nach den vielen Absagen überhaupt noch einen zweiten Roman zu schreiben? Nun, Absagen, sagt Garmus, bekomme man als Werbetexter ebenfalls oft, sodass sie es gewohnt sei, dennoch weiterzumachen. Obwohl ein Roman etwas Persönlicheres sei und die Absagen mehr träfen.
Niemand will Geschichten über perfekte Menschen lesen
Die Geschichte von »Eine Frage der Chemie« ist durchaus komplex und alles andere als gradlinig. Die Chemikerin Elisabeth Zott wird zum Star einer Kochshow. Wie hat Bonnie Garmus die Zutaten für diese Geschichte zusammengestellt?
Die Figur der Elisabeth Zott sei nach einem schlimmen Arbeitstag entstanden, als ein männlicher Kollege ihr eine Idee klaute und als seine eigene ausgab, so wie es Elisabeth im Roman ergeht. Nach diesem Arbeitstag schrieb Garmus das erste Kapitel. Sie wusste nicht, wohin sie die Geschichte führen würde, aber sie schrieb schon einmal die letzten drei Sätze der Geschichte. Das sei, wie einen Ball für einen Hund zu werfen. Man müsse wissen, wohin man zu laufen habe.
Elisabeth Zott ist ein Charakter mit Ecken und Kanten, in dem man sich als Leserin und Leser nicht unbedingt sofort verliebt. Das mache es interessant, sagt Garmus. Niemand wolle Geschichten über perfekte Menschen lesen.
Kein Anti-Männer-Roman
Wollte Bonnie Garmus mit diesem Roman einer Frau, die unbeirrt ihren Weg geht, auch eine feministische Botschaft aussenden?
»Eine Frage der Chemie« sei kein Anti-Männer-Roman, es sei ein Roman gegen Sexismus, sagt Garmus. Es gibt im Roman vier männliche Unterstützer der Hauptfigur, und Hilfe von vielen Seiten brauchen wir alle im Leben – egal ob Frau oder Mann. Jede Art von -ismus sei im Grunde nur eine Leugnung wissenschaftlicher Fakten. Wir alle seien ähnlicher, als wir denken. Garmus sagt, es frustriere sie, all die Konflikte zu sehen, wo wir doch im Grunde so viel gemeinsam haben. Wir bekämpften uns, anstatt Probleme gemeinsam zu lösen. Darum gehe es in ihrem Buch.
Auch die Handlung des Romans ist alles andere als stromlinienförmig. Manche Charaktere finden ein jähes Ende. Wurde Bonnie Garmus nicht gesagt, dass mache Leser das vielleicht nicht gut finden? Ja, sagt Garmus, das sei zwar der Fall gewesen, aber darauf sollte man als Autorin keine Rücksicht nehmen. Man solle das schreiben, für das man brenne. Und wenn es nicht alle Leserinnen und Leser gut finden, dann sei das absolut in Ordnung.
Wie gefällt Bonnie Garmus die aktuelle Verfilmung als Streaming- und TV-Serie? Hier äußert sich Garmus am Ende des Gesprächs diplomatisch. Es sei nun mal eine Adaption des Buches. Hollywood mache das, was Hollywood gut fände. Man muss das als Autorin akzeptieren.
Autoren sagen natürlich immer, dass das Buch besser sei.
Hören Sie das ausführliche Gespräch mit Bonnie Garmus und Felicitas von Lovenberg im Podcast des literaturcafe.de. Nutzen Sie den Player unten nach dem Beitrag. Der Podcast des literaturcafe.de ist zudem auf allen Portalen wie Apple iTunes, Spotify oder Deezer zu hören und zu abonnieren. So verpassen Sie künftig keine Folge mehr.
Wolfgang Tischer
Bonnie Garmus: Bonnie Garmus - Eine Frage der Chemie - limitierte Schmuckausgabe mit Farbschnitt plus 3 extra Lesezeichen. Gebundene Ausgabe. 2023. PiperVerlag. ISBN/EAN: 4262423430628. 26,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige
Was für eine sympathische Autorin! Ich kannte das Buch bisher noch nicht, aber das Interview macht neugierig auf das Buch. Wieder einmal ein sehr wunderbares Interview, auch mit tollen Hintergundinfos durch das Gespräch mit der Lektorin.