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Bachmanntagebuch 2019: Fliegenfischen und danke, liebe Jury!

Liegestuhl am Lendhafen
Liegestühle am Lendhafen

Mittlerweile hat sich eine schöne Klagenfurt-Routine bei mir etabliert: Morgens eine Runde laufen gehen, Frühstück, die Lesungen live mitverfolgen (selbstverständlich das zentrale Element des Tages), danach direkt zum See radeln, schwimmen, Eis essen und mindestens einen Text nochmals lesen. Tagebuch schreiben auf der Terrasse des Hotels. Dort sitze ich gerade. Heute war der letzte Lesungstag, an dem die vier verbleibenden Autoren vorgetragen haben.

Im Studio
Im Studio

Zunächst war ich im ORF-Studio, da man dort am nächsten am Geschehen dran ist und es keine Ablenkungen gibt.

Der erste Text wird von der Autorin vorgelesen. Es geht um irgendwelches Meeresgetier, so viel ist klar. Ich finde es eklig, in die Geschichte der ganzkörpertätowierten Frau, die in die Meereswelt abtaucht, tauche ich nicht ein. Allein das im Text vorkommende Wort »Verhaltensflexibilität« gefällt mir sehr – im Gegensatz zum meeresbiologischen Fachvokabular, dieses finde ich auch nicht lyrisch. Als die Jury zu Wort kommt, geht es heiß her. Die Diskussion der Jury entwickelt eine Eigendynamik, die ich an den vorigen Lesetagen in dieser Form nicht beobachten konnte – alle stimmen mit ein, den Text niederzumachen. Die Autorin tut mir leid. Ich habe gerade die Frage auf den Textausdruck geschrieben, was während der Jurydiskussion wohl in den Köpfen der Autoren vorgehen mag, als ausnahmsweise die Autorin von der Jury direkt gefragt wird, wie sie das sehe. Krass. Sie ist erstaunlich gefasst nach all der Kritik und erklärt der Jury, dass die Interpretationsversuche nicht mit ihren eigenen Intentionen übereinstimmen. Das war ein Erlebnis, das mit einem gewissen Erstaunen bei mir nachwirkt.

Zweite Lesung. Der junge Autor liest aus einer Geschichte, die beiden Erzählebenen handeln von Musik und Fliegenfischen. Ich bin angestrengt, aufgrund der langen Sätze und der – vollkommen neutral ausgedrückt – nicht ganz so triviale Sprache. Ein Satz geht wirklich über eine halbe Seite! Einige Stellen im Text sind durchaus amüsant und lassen nicht nur mich schmunzeln. Jurydiskussion: Der Text wird einstimmig in den höchsten Tönen gelobt. Mir wird klar, dass ich mit der Sportart Fliegenfischen nichts anfangen konnte, was auch der Grund ist, warum ich Probleme hatte, dem Text zu folgen. Mit den Infos der Jury und etwas Hintergrundrecherche lese ich den Text nachmittags am Lendhafen noch einmal in Ruhe für mich. Ich beginne zu verstehen, warum der Text allgemeine Begeisterung ausgelöst hat. Er ist sprachlich schön geschrieben, die Handlung schlüssig gearbeitet. Der Text ist gar nicht so abgehoben, wie ich dachte, es gibt einen gelungenen Wechsel aus Situationen im Leben des Erzählers, als Familienvater, Musikschullehrer und Fliegenfischerschüler. Ich bin nun recht angetan, nur der halbseitige Satz stößt mir nach wie vor auf.

Im Außenbereich
Im Außenbereich

Während der Mittagspause suche ich mir für die beiden letzten Lesungen einen schattigen Platz auf einer Bierbank im Garten des ORF-Studios, wo die Lesungen ebenfalls live übertragen werden. Die Monitore sind zwar nicht so groß, aber der Ton ist so laut (und alle Leute um mich herum sehr konzentriert), dass man den Lesungen hier draußen relativ ablenkungsfrei folgen kann. Eine schöne Alternative zum Studio.

Die dritte Lesung ist die unspektakulärste des Tages. Ein junger Autor verarbeitet den Tod seines Vaters, wieder ein sehr persönlicher Text. Ich folge der Lesung interessiert, bin aber nicht extrem berührt oder vom Hocker gerissen. Es tauchen Sätze auf, die mir gefallen (in der Art von Aphorismen, wie ich sie mir gerne herausschreibe). Andere wiederum kann ich nicht einordnen. Manche Sprünge sind etwas wirr. Bei der Jury kommt der Text auch nicht so positiv weg. Oder sagen wir: Für den heutig ist das Urteil doch verhältnismäßig milde. Bezieht man die letzten Tage auch mit ein, dann nicht unbedingt.

Mit Blick auf den Bildschirm
Mit Blick auf den Bildschirm

Bei der letzten Lesung geht es nochmals rund. Im Präsentationsvideo des Autors wird gesagt, dass er Seminare zum Thema Storytelling gebe. Mit dieser Info ausgestattet sehe ich sofort den selbstbewussten Storyteller vor mir, der da gerade zu lesen beginnt (davor hatte ich einen sehr sympathischen und freundlichen Mann gesehen). Welche Story hat er zu diesem Zweck konstruiert? Starken Tobak: Er beschreibt die Hinrichtungsszene der Geschwister Scholl und von Christoph Probst aus Sicht eines Henkersgehilfen. Dieser Text macht mich ausnahmsweise nicht betroffen, obwohl es wieder um ein trauriges Thema geht. Ich bin eher irritiert: Warum nimmt er die Geschwister Scholl heran? Was denkt er sich, ihnen ihre letzten Worte in den Mund zu legen? Die Jurymitglieder sind empört (einzig das Mitglied, das den Autor hierher gebracht hat, verteidigt sich vehement). Sie drücken aus, was mich irgendwie abstößt (Wieder einmal: Danke, Jury, dass ihr meine Gedanken geordnet und auf den Punkt gebracht habt). Zitat meines Lieblings-Jurymitglieds: Historische Personen würden instrumentalisiert und heraus komme Kitsch. Die Namen dienen lediglich als Staffage für die Erzählung. Die Legitimation hierfür sei infrage zu stellen. Voilà. 

Lektüre mit Gitarrenuntermalung am Nachmittag
Lektüre mit Gitarrenuntermalung am Nachmittag
Am Lendhafen
Am Lendhafen

Ein paar vorgelesenen Texten würde ich keinen Preis geben wollen. Das bringt uns zum Thema, welche Autoren nun preiswürdig sind und zu den ganzen Spekulationen über die Favoriten. Ich wollte zunächst alle Autoren hören und habe mich aus diesem Grund bisher nicht damit beschäftigt. Jetzt wird es Zeit, das zu ändern und mir vor der Juryabstimmng morgen selbst ein Urteil zu bilden. Da ich bei der Abstimmung für den Publikumspreis teilnehmen will, gehe ich in mich und wähle meinen Favoriten aus. Ich vergebe auch wie die Jurymitglieder Punkte von 5-1 an meine persönlichen Favoriten. Nachdem ich das gerade getan habe, bin ich äußerst gespannt, wer morgen einen Preis gewinnt. Mein abschließendes Urteil zum Bachmannpreis und den Eindrücken allgemein wird morgen folgen.

Juliane Hartmann

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