Am zweiten Lesetag gibt es Antwort auf die (theoretische) Frage: Was ist, wenn ein Juror vor oder während des Bewerbs krank wird? Die Antwort gibt in der 4. Podcast-Folge kein geringerer als Magister Wilfried Kammerer, der als Justitiar beim Bachmannpreis über die Einhaltung der Regeln wacht. In seiner Freizeit organisiert Kammerer übrigens auch die Wasserrettung auf dem Wörthersee.
Außerdem reden Doris Brockmann und Wolfgang Tischer über die fünf Lesungen des zweiten Tages.
Ebenso erläutert in dieser Podcast-Folge Marco Dinić, worum es in dem Song »Balkan« der jugoslawischen Band Asra geht (Hier auf YouTube zu sehen und zu hören), den Dinić gestern in seinen Text eingeflochten und sogar gesungen hat. Das Gespräch ist ab Minute 5:37 zu hören.
Nach der Lesung von Tomer Gardi diskutierte die Jury lange darüber, was von einem Text in nicht korrektem Deutsch zu halten sei. Wie fand der Autor das? Ab Minute 27:56 kommt daher in dieser Podcast-Folge Tomer Gardi selbst zu Wort.
Doris Brockmann und Wolfgang Tischer trafen sich diesmal nach den Lesungen in Klagenfurt beim Italiener, um über den zweiten Lesetag zu sprechen. Eindeutige Favoritin bei der Jury schien Julia Wolf mit ihrem Text »Walter Nowak bleibt liegen« zu sein. Wenn es jedoch um den Text von Sylvie Schenk am Ende des Lesetages geht, redet sich Wolfgang Tischer möglicherweise ein klein wenig um Kopf und Kragen.
Im einzelnen sah die Lesereihenfolge des zweiten Tages (Freitag, 1. Juli 2016) so aus. Die Namen sind jeweils mit den Texten auf bachmannpreis.orf.at verlinkt:
1. Lesung 10.00 Uhr Julia Wolf
2. Lesung 11.00 Uhr Jan Snela
3. Lesung 12.00 Uhr Isabelle Lehn
Mittagspause
4. Lesung 13.30 Uhr Tomer Gardi
5. Lesung 14.30 Uhr Sylvie Schenk
Vielen Dank für die Erwähnung meines vorigen Kommentars und die Aufklärung über Fraqu Sargnagel bzw. Sprengnagel. Dass Stefan Gmünder als Juror für Österreich antritt, hatte ich tatsächlich nicht auf dem Schirm. Dennoch: Diesen unvergleichlichen Schmäh hat wohl nur jemand drauf, der von Klei auf in der österreichischen Kultur sozialisiert ist. Herrn Gmünder nehme doch eher als besonnenen Schweizer wahr.
Ein ähnliches Problem hatte ich vor Jahren übrigens auch mit Martin Ebel, der als gebürtiger Deutscher – soweit ich mich erinnere – die Schweiz vertrat. Ich hoffe, es klingt nicht zu reaktionär, aber ich mag es, wenn ein Juror die Kultur und Sprache des Landes mitbringt, das er repräsentiert. Was den Autoren recht ist, sollte der Jury doch billg sein. 😉 Besonders seltsam finde ich diese Unterrepräsentanz, wenn sei das Gastgeberland Österreich betrifft. Wobei sich Herr Kastberger natürlich wacker schlägt.
Diese Drastik, die bei den Österreichern zu beobachten ist, finde ich übrigens spannend. Das sieht man schon daran, wie die beiden Kandidaten um das höchste Staatsamt öffentlich miteinander umgehen. Ich frage mich, ob das nur ein Phänomen des Zeitgeistes ist. Der Regisseur Michael Haneke hat mal in einem Interview berichtet, im Ausland seien die Leute immer etwas befremdet über sein entsprechendes Auftreten. Er hat das darauf zurückgeführt, dass er in Österreich das Gefühl habe, die Leute permaent anschreien zu müssen, um überhaupt durchzudringen. Das sei ihm derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass es ihm selbst gar nicht mehr aufgefallen sei.
Das auch ein Österrecher anders drauf sein, hat in den 1990er Jahren der Juror Klaus Ammann unter Beweis gestellt. Der hatte ein sehr ruhiges und nachdenkliches Auftreten und hat die Texte immer recht klug und ausgewogen beurteilt. Da waren fast seine damaligen Schweizer Kollegen noch direkter.
Bevor es in 2 Stunden wieder zurück an den Fernseher geht, hier noch “kurz” mein persönliches Resümee zum 2. Lesetag. (Sorry … bis morgen habt ihr jetzt wahrscheinlich meinen täglichen Kommentar an der Backe. Damit müsst ihr leben.)
Bereits mit ihrem charmanten Einführungsfilm hat mich die Autorin Julia Wolf für sich eingenommen und auch ihr Text hat mir gut gefallen. Ihr Protagonist hätte eine Figur aus dem Spätwerk von Martin Walser sein können und ich meine auch, aus einigen Formulierungen den typischen Walser-Ton herausgehört zu haben. Der innere Monolg liefert eine Vorgeschichte, die zwar banal ist, aber dennoch durch die Art der Erzählung ihren besoderen Reiz bekommt. Einen Bruch sehe ich ab dem Zeitpunkt, als der Rentner hilflos am Beckenrand liegt. Von da ab nehme ich jede Menge Ungenauigkeiten wahr. Fast kommt es mir vor, als hätte sich die Autorin beeilen müssen, den Text rechtzeitig zum Wettbewerb fertig zu stellen. Warum z.B. sitzt er nach der Untersuchung plötzlich im Auto, obgleich er ganz offfensichtlich nicht normal ansprechbar war? Jeder verantwortungsvolle Arzt hätte ihn genötigt, liegen zu bleiben, bis der Krankenwagen kommt. Oder wäre zumindest auf die Idee gekommen, ihm mal die Badekappe abzunehmen. Dann wären ja auch die Ohrenstöpsel zum Vorschein gekommen. Und warum liegt der Mann am Ende in seinem Badezimmer? Warum ist er nackt? Hat er nicht nur die Badekappe vergessen, sondern auch alles andere? Wenn ja: Wo hatte er dann den Autoschlüssel verwahrt?
Hier könnte ein gutes Lektorat vieles ausbügeln. Was die Interpretation betrifft, dass der Rentner in Selbstmordabsicht mit voller Wucht gegen den Beckenrand eines öffentlichen Schwimmbades geknallt sei: Wenn das zutrifft, dann wäre das so ziemlich der dümmste Selbstmordversuch, von dem ich jemals gehört habe. Gut, man könnte argumentieren, dass hier eine beginnende Demenz angelegt sein könnte. Aber zumindest in Richtung Selbsttörung gibt der Text hier m.E. nichts her. Der Erzähler ist doch zunächst nur auf ein Kräftemessen mit der sportlichen Amazone aus und wird dabei leider etwas übereifrig. (Auch dies übrigens ein Walser-Motiv.) Die Parallele zu den Delfinen stellt er ja erst im Nachhinein gedanklich her.
Vielversprechende Ansätze sind hier aber allemal vorhanden.
Die folgenden beiden Autoren waren von Frau Feßmann eingeladen worden und haben dasselbe Thema auf ganz unterschiedliche Weise abgehandelt Ich könnte mir sogar denken, dass Kastberger hier voll den Nagel auf den Kopf getroffen hat, als er von einem Seminar sprach, wo Texte zum Thema “Orient” verlangt wurden. Die Reaktion von Meike Feßmann auf die Lesung von Jan Smela fand ich recht unglücklich. Sie hat sich ziemlich Anfang der Diskussion zu Wort gemeldet und minutenlang referiert, wie denn dieser Text zu verstehen sei. Schützenhilfe erhielt sie dann noch von Hildegard Keller. Ich glaube, die war es auch, die wiederum sowas wie die grundsätzliche Komplizenschaft des Lesers zu einem Text einforderte.
Auch hier war ich wieder einmal voll bei Kastberger. Ich möchte gar nicht der Komplize dieses Textes sein! Im Gegenteil: Der Snela-Text ist mir am Freitag von allen am meisten auf den Senkel gegangen.
Abgesehen von den hozschnittartigen Charakteren und einer ebensolchen Handlung war er auch sprachlich überhaupt nicht gut gearbeitet. Eines von mehreren Beispielen, die mir aufgestoßen sind: Gibt es einen Komparativ zu “miskroskopisch”? Natürlich nicht! Dennoch kann es der Autor nicht lassen, diesen einzuführen. Er schreibt “mikroskopischer”, um deutlich zu machen, dass irgendwas sehr, sehr klein ist. Das wirkt auf mich einigermaßen bemüht.
Das genau gegenteilige Erlebnis hatte ich bei dem Text von Isabelle Lehn. Auch sie lässt ja – ebenso wie Snela – vieles im Dunkeln. Aber hier fühlte ich mich sofort eingeladen, mich zum Komplizen machen zu lassen. Das hängt zum einen mit dem reichhaltigen setting zusammen, zum anderen mit der Identifikationsmöglichkeit. Beides spannt der Text von Anfang auf und das tut er sehr gekonnt. Die Autrin versteht ihr Handwerk. In der Diskussion fiel ja das Stichewort “Präkariat”. Bei dem ominösen paramilitärischen Camp dachte ich unter anderem an Fernsehformate wie “Big Brother – Das Dorf” oder auch an das “Newtopia”-Projekt, das dann vorzeitig eingestellt wurde. Nur geht es hier eben zusätzlich um Waffen und Kriegstraining. Und die Freiwilligkeit der Insassen ist durchaus beschränkt; du kannst zwar gehen (bzw. rausgeschmissen werden, wenn du dich nicht an die Regeln hältst), musst aber ggfs. existenzzielle Einbußen in Kauf nehmen.
Dass solch eine Dystopie offenbar tatsächlich bereits Realität ist, das ist eigentlich entsetzlich.
Das Losverfahren wollte es, dass beide von Meike Feßmann vorgeschlagenen Texte hintereiander gelesen wurden. So wirkte das Ganze fast als Negativ-Positiv-Didaktik. Womöglich hat das auch Frau Feßmann so empfunden und hat deshalb bei Snela so zeitig und so heftig eingegriffen. So wenig ich mit dessen Text auch anfangen konnte … ich finde, das hat kein Autor verdient!
Nach der Mittagsause dann der bislang ugewöhnlichste Text dieser Veranstaltung, verfasst und vorgetragen von dem israelischen Autor Thomer Gardi. Ich habe keinerlei Zweifel, dass hinter der Einlandung durch Klaus Kastberger nicht nur einiges an Kalkül steckt, sondern durchaus auch eine gewisse diebische Freude an der Provokation. Der Witz bei der Sache: Als Nicht-Muttersprachler ist Gardi des Deutschen nur gebrochen mächtig. Kaum hatte er er mit seiner Lesung begonnen, musste ich gleich nachschauen, ob das auch wirklich so im Text steht. Das war der Fall, zumindest weitgehend.
Wenn ausnahmsweise mal die richtige Form im Text stand, wurde sie während der Lesung doch noch verschlimmbessert.
Inhaltlich stand ich dem Text ähnlich ratlos gegenüber wie scheinbar auch die Juroren. Nicht zuletzt aus politischen Gründen erhielten Autor und Text den Status als heißes Eisen. Gardi spricht die Grundroblematik ja auch selbst an, indem er auf den Terminus der “Sprachbeherrschung” eingeht. Die Lesung wird wohl wieder einige altbekannte Diskussionen lostreten, an denen ich mich nicht beteiligen möchte. Das führt eh zu nix!
Immerhin: Seit den frühen James-Bond-Filmen haben wir wohl kaum mehr eine so arg behaarte Brust betrachten durfen. 😉
Zu guter Letzt gab es noch den Text von Sylvie Schenk über das Aufwachsen in der Nachkriegszeit Frankreichs mit einem kurzen Exkurs in die deutsche Nachkriegszeit. Auch wenn mir die meisten Fakten bereits bekannt waren, höre ich Zeitzeugen grundsätzlich gern zu. Die literarische Qualität des Textes wurde sicherlich zu Recht in Zweifel gezogen.
Auch wenn ich das meiste, was erzählt wurde.
Wenn man in Österreich lebt und den “Standard” liest, beziehungsweise regelmäßig zu Literaturveranstaltungen geht, hat man sich an Herrn Gmünders Aussprache gewöhnt und keinen Zweifel an seinen österreichischen Literaturkenntnissen, das mit der Bundespräsidentenwahl ist etwas ganz anderes und leider nicht mit der Literatur zu vergleichen.
Mir wäre ein entsprechender Roman, der dann vielleicht den Bachmannpreis gewinnt, lieber, als noch einmal zur Wahl zur gehen oder den Wahlkampf bis dahin miterleben zu müssen.
Was die Shortlist betrifft, war ich über Jan Snela und das Fehlen von Sargnagel und Gardi auch erstaunt, denke aber inzwischen, daß bei den sieben, dann meistens auch ein paar Namen stehen, die später auf den Tablets nie oder nur ganz selten erscheinen, warum das so ist, Zufall oder Absicht weiß ich nicht und. daß mit dem Durchwinker des Jahres, vor zwei Jahren war es Frau Klemm, im vorigen Theresa Präauer, heur Marco Dinic, der für mich eigentlich auch ein Österreicher ist und den ich gerne einen Preis gegeben hatte, finde ich auch nicht gut und kann mich noch gut an das enttäuschte Gesicht von Frau Klemm erinnern, bis sie dann doch den Publikumspreis gewann, es ist aber offensichtlich nicht zu verändern, da es ja ohne Erfolg im Vorjahr versucht wurde. War ein schöner Bewerb, das habe ich schon geschrieben und die Geschichte mit dem Ei muß ich auch noch einmal lesen, mir hat auch die mit dem Herrn Nowak und den Birken in der Wohnung oder das Bachmanntextschreiben der Frau Sargnagel gefallen