StartseiteLiterarisches LebenKeine Mehrwertsteuer auf Bücher: Dänemarks fiskale Leseförderung

Keine Mehrwertsteuer auf Bücher: Dänemarks fiskale Leseförderung

Königliche Bibliothek, Kopenhagen (Foto: Eddy Billard / Unsplash)
Königliche Bibliothek, Kopenhagen (Foto: Eddy Billard / Unsplash)

Dänemark will 2026 die 25% Mehrwertsteuer auf Bücher komplett abschaffen. Es wäre dann das dritte EU-Land mit steuerbefreiten Büchern. Anlass: Eine »Lesekrise« – ein Fünftel der 15-Jährigen kann keine einfachen Texte verstehen.

Die Initiative von Dänemarks Kulturminister Jakob Engel-Schmidt markiert einen Paradigmenwechsel in der europäischen Kulturpolitik: Weg von restriktiver Besteuerung hin zu aktiver Leseförderung durch Steuerinstrumente. Doch während die Buchbranche jubelt, warnen Kritiker vor überzogenen Erwartungen und ungewissen Verteilungseffekten.

Lesekrise und Reformen

»Wir müssen alles in Bewegung setzen, wenn wir die Lesekrise überwinden wollen«, erklärte Kulturminister Jakob Engel-Schmidt bei der Ankündigung am 20. August 2025. Die Regierung unter Mette Frederiksen plant die komplette Abschaffung der 25%-Mehrwertsteuer auf Bücher ab 2026 – gegenfinanziert durch den staatlichen Haushaltsüberschuss mit 330 Millionen Kronen (44 Millionen Euro) jährlich.

Die Reform ist Teil einer größeren kulturpolitischen Neuausrichtung der Sozialdemokraten, die bewusst mit dem traditionellen »Kulturradikalismus« gebrochen haben. Minister Engel-Schmidt von der Zentrumspartei »Die Moderaten« konnte seine Koalitionspartner überzeugen: »Es geschieht nicht jeden Tag, dass man Kollegen davon überzeugen kann, so massive Summen in den Konsum und die Kultur der Dänen zu investieren.«

Die ungewöhnliche SVM-Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen und Moderaten – die erste Zentrumskoalition seit 44 Jahren – steht trotz Umfragetief geschlossen hinter der Reform. Besonders bemerkenswert: Schon 2022 hatte der liberale Kultursprecher Jan E. Jørgensen argumentiert, die Buchsteuer-Abschaffung koste »nur Millionen, nicht Milliarden«.

Bildungskrise als Auslöser

Der PISA-Schock von 2022 wirkt als Katalysator: Dänemark verzeichnete einen 12-Punkte-Rückgang bei der Lesekompetenz, etwa 20 Prozent der 15-Jährigen erreichen nicht das Mindestkompetenzniveau. Parallel investiert die Regierung 500 Millionen Kronen zusätzlich in Dänisch- und Mathematikunterricht sowie 24,4 Millionen in die Stärkung der Lesekultur bei Kindern und Jugendlichen.

Diese Zahlen untermauern die Dringlichkeit: Während andere EU-Länder graduelle Reformen diskutieren, wählt Dänemark den radikalen Schritt. Die Regierung nutzt geschickt die neue EU-Flexibilität der Mehrwertsteuerreform von 2021, die Nullsteuersätze für kulturelle Grundbedürfnisse explizit erlaubt.

Brancheneuphorie und Markteffekte

»Ein sehr großer Tag für das Buch«, jubelt Christine Bødtcher-Hansen vom Verlagsverband Danske Forlag. Der größte dänische Verlag Gyldendal verspricht konkret: »Die Preise werden definitiv fallen. Punkt.« Geschäftsführerin Hanne Salomonsen kalkuliert mit einer Preissenkung von etwa 20 Prozent.

Die Branchendaten sind vielversprechend: Eine Studie aus dem Jahre 2024 von Dansk Erhverv zeigt, dass 23 Prozent der Dänen mehr Bücher kaufen würden bei 20-prozentiger Preissenkung – bei jungen Erwachsenen sogar 41 Prozent. Der dänische Buchmarkt umfasst jährlich 1,7 bis 2,5 Milliarden Kronen Umsatz bei 8,3 Millionen verkauften Büchern.

Entscheidend wird die Einbeziehung digitaler Formate: Alle Hinweise deuten darauf hin, dass sowohl E-Books als auch Hörbücher von der Nullbesteuerung profitieren werden. Dies könnte dem langsam wachsenden digitalen Buchmarkt (2018: 20,6% des Verlagsumsatzes) entscheidenden Schub verleihen.

Europäischer Vorreiter?

Dänemarks Reform katapultiert das Land von Europas Schlusslicht zum Pionier. Bisher verzichten nur Irland und Tschechien auf die Mehrwertsteuer bei Büchern, während die EU-Steuersätze zwischen 5% (Slowakei) und 27% (Ungarn bei E-Books) variieren. Deutschland liegt mit 7%, Österreich mit 10% im Mittelfeld.

Sonia Draga, Präsidentin des Europäischen Verlegerverbands, sieht Dänemarks Schritt als Beispiel: »Zu lange war Dänemark Anti-Champion mit 25% Steuer auf Bücher. Wir hoffen, dass alle politischen Führungen in Europa ermutigt werden und sicherstellen, dass Bücher von den günstigen Steuersätzen profitieren.«

Die Signalwirkung zeigt bereits Effekte: Der deutsche Börsenverein fordert seit langem Nullbesteuerung, in Österreich diskutiert der Hauptverband des Buchhandels neue Strategien. Beide Länder könnten seit der EU-Reform 2021 rechtlich nachziehen.

Kritische Einwände und Risiken

Trotz der Begeisterung für eine Steuersenkung mehren sich kritische Stimmen. Akademische Studien warnen vor überzogenen Erwartungen: Die slowakische Erfahrung 2007 zeige, dass die Mehrwertsteuersenkung von 19% auf 10% nicht zu Preissenkungen führte – die Preise stiegen sogar über die Inflationsrate.

Besonders problematisch sind Verteilungseffekte. Untersuchungen des spanischen Wirtschafts-Professors Juan Prieto-Rodriguez von der Universität Oviedo zeigen, dass Kultursteuer-Reduktionen »Bevölkerung mit höherem sozioökonomischem Status begünstigen aufgrund höherer Konsumniveaus«. Reiche Haushalte kaufen mehr Bücher und profitieren daher überproportional von der Steuersenkung.

Ein technisches Problem wurde auf Hacker News geschildert: Dänische Buchhaltungssysteme seien so programmiert, dass sie nur mit einem Steursatz von 25 oder 0 arbeiten könnten. Deshalb sei nur die komplette Abschaffung möglich, keine differenzierten Sätze wie in anderen Ländern. Diese IT-Architektur-Einschränkung limitiere die politischen Handlungsoptionen erheblich.

Monitoring-System und Erfolgskontrolle

Minister Engel-Schmidt kündigt strikte Preisüberwachung an: »Ich werde natürlich beobachten, wie sich die Preise entwickeln. Wenn sich herausstellt, dass die Abschaffung nur bedeutet, dass die Gewinne der Verlage steigen und die Preise nicht fallen, dann müssen wir darüber nachdenken, ob es richtig war.«

Jedoch fehlen detaillierte Monitoring-Pläne: Wie wird der Erfolg bei der Hauptzielgruppe – 15-Jährige mit Leseproblemen – gemessen? Welche Leseförderungsindikatoren werden verfolgt? Der Zeitrahmen für die Evaluierung bleibt unklar.

Zeitrahmen der Umsetzung

Der Zeitplan ist ambitioniert aber realistisch:

  • August 2025: Offizielle Ankündigung
  • Herbst 2025: Integration in das Haushaltsgesetz 2026
  • 1. Januar 2026: Voraussichtliches Inkrafttreten
  • Kosten: 330 Millionen Kronen jährlich aus dem Haushaltsüberschuss

Die parlamentarische Mehrheit der SVM-Koalition (90 von 179 Sitzen) plus Unterstützung der färöischen und grönländischen Abgeordneten sichert die Verabschiedung. Die Buchbranche hatte diese Reform jahrelang gefordert – ihre Durchsetzung zeigt die Handlungsfähigkeit der angeschlagenen Regierung Frederiksen.

Internationale Beobachtung

Dänemarks Experiment wird europaweit aufmerksam verfolgt. Publishing Perspectives nennt es einen »Paukenschlag in einem Binnenmarkt, in dem fast alle Staaten auf ermäßigte, aber positive Steuersätze setzen«. Die Federation of European Publishers hofft auf Nachahmereffekte in anderen EU-Ländern.

Rechtlich nutzt Dänemark die ECOFIN-Entscheidung vom Dezember 2021, die Bücher explizit als »Grundbedarf« anerkennt und Nullsteuersätze für bis zu sieben Produktkategorien erlaubt. Diese neue EU-Flexibilität öffnet allen 27 Mitgliedstaaten ähnliche Möglichkeiten.

Mutiges Experiment mit ungewissem Ausgang

Dänemarks Buchsteuer-Abschaffung ist mehr als eine Steuerreform – es ist ein kulturpolitisches Statement. Das Land setzt auf den Zugang zu Bildung als zentrale gesellschaftliche Aufgabe und nutzt dabei geschickt neue EU-rechtliche Möglichkeiten.

Die Erfolgsaussichten bleiben jedoch gemischt: Während die Preissenkung für bestehende Buchkäufer sicher ist, bleibt fraglich, ob die Reform neue Leser gewinnt oder hauptsächlich gebildete Mittelschichten begünstigt. Die schwedische Erfahrung von 2001 zeigt: Steuersenkungen allein reichen nicht – zusätzliche Bildungsmaßnahmen sind entscheidend.

Mit jährlichen Kosten von 44 Millionen Euro wird Dänemark zum Testfall für kulturorientierte Steuerpolitik in der EU. Das Experiment könnte entweder als Vorbild für eine europäische Leseförderungs-Renaissance dienen – oder als Warnung vor kostspieligen symbolischen Politik-Maßnahmen. Das Ergebnis wird sich in den kommenden Jahren zeigen, wenn die PISA-Ergebnisse 2027 vorliegen.

Redaktion literaturcafe.de 

Weitere Beiträge zum Thema

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein.
Bitte geben Sie Ihren Namen ein

E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.