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Lyrikerin Oda Schaefer: »Es war der Garten des Gutes Poll in Estland, in dem ich nur kurz verweilen durfte.«

POLL: Ausschnitt aus dem FilmplakatEin Gutshaus auf dem Meer – es ist ein beeindruckendes Filmset, das Silke Buhr für »Poll« erschaffen hat. Der visuelle Mittelpunkt des Films entstand nicht am Computer, sondern tatsächlich in sechsmonatiger Bauzeit an der Ostseeküste.

Mit dem Historien- und Familiendrama »Poll« setzt Regisseur und Drehbuchautor Chris Kraus seiner Großtante Oda Schaefer ein filmisches Denkmal. Die Lyrikerin und Journalistin, die von 1900 bis 1988 lebte, ist heute vergessen, ihre Bücher werden nicht mehr aufgelegt.

Das Landgut Poll existierte tatsächlich

»Poll« so lautet der Name eines Gutes im Baltikum, das tatsächlich existierte – wenngleich auch nicht auf dem Meer. Oda Schaefer, die zwischenzeitlich in Berlin lebte, besuchte im Sommer 1914 die baltische Heimat. Basierend auf den damaligen Tagebuchaufzeichnungen Oda Schaefers hat Regisseur Kraus sein Drehbuch geschrieben und die Geschichte weitergesponnen.

Durch Hanse und Schifffahrt war das Baltikum kulturell auch von Deutschland geprägt, 1914 gehörte es zum russischen Zarenreich.

Die junge Oda Schaefer wurde zur Schule nach Berlin geschickt. Als Künstlerin mit einer eher linken Einstellung galt sie als Außenseiterin und »enfant terrible« der national-konservativ geprägten Familie.

In Ihren Lebenserinnerungen schreibt sie über Poll:

»Der Garten – immer war es der Garten, überströmend von der Fülle leuchtender Blumen, in den Farben rosa, karmin, gelb, weiß und orange, und nur ganz wenig blau. Ich hatte sein Bild als Kind zum erstenmal im Traum erblickt, da kannte ich seine Wirklichkeit noch nicht. Später beschwor ich ihn aus der Vergangenheit herauf, wenn ich nicht schlafen konnte: es war der Garten des Gutes Poll in Estland, in dem ich nur kurz verweilen durfte.«
Aus Oda Schaefer: »Auch wenn Du träumst, gehen die Uhren«. Lebenserinnerungen, München: Piper 1970. Mit freundlicher Genehmigung © Eberhard Horst

Vergessene Lyrikerin Oda Schaefer

Oda Schaefer schrieb Gedichte, Hörspiele und auch Texte für Zeitschriften. Nach dem 2. Weltkrieg gehörte Sie der Gruppe 47 an und erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, 1964 sogar das Bundesverdienstkreuz.

Heute jedoch sind die Bücher der seinerzeit bekannten Lyrikerin nur noch gebraucht in Antiquariaten erhältlich.

Ob der Film das Interesse an Ihrer Person neu beleben wird? Beim Piper Verlag, in dem Schaefers Bücher seinerzeit erschienen sind, teilte man uns mit, dass keine Neuauflage geplant sei.

Paula Beer spielt im Film die junge Oda Schaefer. Für ihre erste große Hauptrolle in einem Kinofilm erhielt sie gleich den Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsdarstellerin. Neben ihr sind u.a. Edgar Selge, Richy Müller und Jeanette Hain zu sehen.

www.poll-derfilm.de – Website mit allen Infos zum Film

Hinweis: Anlässlich des Kinostarts des preisgekrönten Films am 3. Februar 2011 hatten wir mit freundlicher Unterstützung von Piffl Medien 5 Gewinn-Pakete verlost, bestehend aus je 2 Kinogutscheinen und dem Soundtrack von »Poll«.

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8 Kommentare

  1. Nachdem ich diesen wunderbaren, tief berührenden Film sah, möchte ich unbedingt mehr über Oda Schaefer erfahren, ihre Werke lesen. Es ist unglaublich, dass diese Frau bzw. ihre Bücher in Vergessenheit geraten sein sollen… Grosser Dank gilt allein aus diesem Grund dem gesamten Filmteam.

  2. die meisten besucher haben den film nur mit muehe ertragen – die grausamkeiten sind schwer zu ertragen, der handlungsablauf oft kaum nachvollziehbar- im ganzen (falls der regisseur irgendetwas ausser dem spektakel im sinn gehabt haben sollte) alles zu dick aufgetragen, um als parabel auf die vorhandenen, um vieles größeren grausamkeiten in der welt verstanden und verinnerlicht zu werden. weniger wäre mehr gewesen. und paula beer hält ja meistens nur ihr gesicht in die kamera. die expression ergibt sich beiläufig aus dem zusammenhang.

  3. Hmmm… dass nun Oda Schaefers Werke dem Vergessen entrissen werden sollten wird aus dem Film nicht deutlich.
    Sicherlich. Poll ist jede Minute spannend und leidenschaftlich. Die Leidenschaft bleibt aber leider eine rein persönliche und innere. Der Anarchist “Schnaps” hätte ja helfen können. Die einzigen erhellenden Worte, die über das Elend des Proletariats unter dem Zarismus, werden ihm in den Mund gelegt. Sie bleiben dennoch allgemein und schwammig. Wie eben aus der Erinnerung eines naiven Mädchens geholt, das später im Nationalsozialismus ins innere Exil gehen sollte.

    Dennoch hat der Film eine Qualität, die allerdings mit dem Nachzeichnen der Biographie Oda Schaefers nur marginal zu tun hat. Es sind die von der Vorrezensentin gerügten “Grausamkeiten”, es ist eine rassistische und entmenschlichte Pseudowissenschaftlichkeit, die “Poll” eindringlich, alptraumhaft schildert und kritisiert. Es ist der bürgerliche Opportunismus, der wie auch später im Nationalsozialismus problemlos den von der Macht gegebenen Bezugsrahmen übernimmt, in dem es moralisch gerechtfertigt ist, Anarchisten auszuschlachten und in Formaldehyd einzulegen oder Juden wie Ungeziefer zu vernichten.

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