Näumanns NörgeleiEine Tasse Kaffee
Monatliches vom Café-Tisch - Februar 1997


Klassikradio oder Die Rettung des Abendlandes

Näumann am Café-TischFrüher, als die Welt noch in Ordnung war, ging die Skala so etwa bis "hundert". Das war dann "Schweizerradio DRS 1". Danach tauchte noch wie aus einer fernen Welt - irgendwo zwischen atmosphärischem Rauschen - "AFN-Stuttgart" auf, aber das war's dann endgültig (Später gesellte sich in diese Regionen auch noch "DRS 3"). Der Beginn der Skala lag übrigens bei "siebenundachtzig", was einem bei nahe gelegenen Zimmer- und Scheunenbränden das Mithören der Gespräche zwischen "Florian 7" und "Florian 11" ermöglichte und den aufregenden Brandgeruch des Illegalen an sich hatte. Die restlichen Plätze, zwischen freiwilliger Feuerwehr und US-Army, waren streng aufgeteilt unter Süddeutschem Rundfunk, Südwestfunk, Bayrischem Rundfunk, DRS, ORF und - bei entsprechendem Wetter oder einer guten Antenne - bekam man sogar "France-Musique" aus Straßburg. Alles hatte seine feste Ordnung, auch die Programme: Die "1" stand für leichte Unterhaltung und lief beim Friseur. Unter der "2" versammelten sich die Jünger der hohen Kultur, um Konzerten und Vorträgen zu lauschen. Die "3" vereinigte Jugend und Autofahrer. Kurz und gut: Schalteten wir das Radio ein, wussten wir woran wir waren.

Und dann kam die geistig-moralische Wende.

Man wollte das bedrohte Abendland vor dem Untergang retten, der linken Libertinage endgültig den Garaus machen und vor allem die Jugend wieder auf den rechten Pfad zurück bringen. Zur christlichen Ethik sollte sie geführt werden, hin zu kulturellen Werten und vor allem weg vom Konsumtrip und den Anglizismen.

Und so schuf man das Privatradio.

Nach minutenlanger Reklamescheiße kommen jetzt flotte, sorry: coole Sprüche, bei denen meinen früheren Englischlehrern, hätten sie sie verstanden, vermutlich das Herz stehen geblieben wäre. Auf der Jagd nach Einschaltquoten unterbietet man sich im Niveau gegenseitig, und selbst die Öffentlich-Rechtlichen werden mittlerweile in den Sog kollektiver Verblödung hineingezogen. Erzählte mir doch letzthin ein Freund, dass auch bei "SWF 3" bereits die Musik per Computer zusammengestellt wird. Unvorstellbar!

Naja, wird ein konservativer Rundfunkprivatisierer jetzt einwerfen, es gibt ja nun auch kulturelle Glanzlichter, wie zum Beispiel "Klassikradio". Zugegeben, dieser Sender befriedigt schon mein Bedürfnis nach Unterhaltung: statt CD, einfach seichte Musik im Hintergrund, bei der man noch nebenher Lesen kann, garantiert ohne viel Gequatsche und frei von den anstrengenden Werken irgendwelcher Zwölftonmmeister. Aber sonst? "Hits" werden geboten! Neulich meinte doch eine betroffene Ansagerin, der arme Joaqujn Rodrigo habe nur einen "Hit" geschrieben, nämlich das Concierto de Aranjuez. Es kann einem schon Leid tun, dass die bei Klassikradio eben nie die Stücke spielen, die weiter hinten auf der CD sind. Vielleicht würde Rodrigo sonst einen neuen "Hit" in den Klassikcharts placen?

Hin und wieder darf man sich zurücklehnen, "das ganze Werk" wird angekündigt: Nach den vielen Fragmenten und Einzelsätzen wird doch tatsächlich darauf hingewiesen, dass ein komplettes Musikstück folgt. Ob der moderne Klassik-Yuppi noch eine ganze Beethovensinfonie durchsteht?

Jeder hat das Recht auf Trivialität, banale Unterhaltung und Kitsch. Insofern ist das private Klassikradio eine echte Bereicherung -und ein schönes Eigentor konservativer Kulturpessimisten, denn zum Glück gibt es sie noch, die ehrwürdigen Kulturfrequenzen zwischen Potsdam und Baden-Baden, bei denen man sich hin und wieder seinen bildungsbürgerlichen Bedarf decken kann.

Johannes Näumann


Januar 1997SeitenanfangMärz 1997