Weitere Preisträger
Neben den sieben in der Podcast-Folge 96 besprochenen Texten zeichnen Diana Hillebrand und Wolfgang Tischer vier weitere Geschichten aus.
Die folgende Geschichte zählt zu den 11 Gewinnertexten zum Thema ›Der Sommer war sehr groß‹, die in Folge 96 des Schreibzeug-Podcasts gekürt, besprochen und vorgelesen wurden. Die Podcast-Folge kann hier angehört werden – und überall, wo es Podcasts gibt. In Folge 95 wurde allgemein über den Wettbewerb und die Einsendungen gesprochen. Über die Zahlen unter den Geschichten kann zwischen den Texten geblättert werden.
Der Geruch von Zigarettenrauch
von Gregor Stefan Heuwangl
Der Sommer war sehr groß. Es war der Sommer 2022, der letzte Corona-Sommer. Keiner nahm die Pandemie noch ernst – nur mein Vater. Er trug Maske, hielt Abstand, verlangte das auch von meiner Mutter. Das Virus erwischte ihn dennoch.
Vor »Der Sommer war sehr groß« steht in dem Gedicht »Herr: es ist Zeit.« Für meinen Vater, dessen Lieblingsgedicht »Herbsttag« gewesen ist, war es in diesem Sommer Zeit. Er starb an Corona, obwohl sich sein Körper lange mit rasselndem Atem gegen das kalte Dunkel stemmte.
»Warum?«, fragte mein Vater meine Schwester in einem wachen Moment. Er hatte nicht ins Krankenhaus gewollt. Aber meine Mutter konnte ihn nicht mehr bewegen, um ihn von seinen Exkrementen zu säubern. Sie hatte Angst vor seinen brennenden Zigaretten, die unbemerkt auf die Bettdecke fielen, wenn sie mal eingenickt war. Mein Vater aß und trank nichts mehr, doch rauchen wollte er. Mein Bruder kaufte ihm eine Stange. Ein halbes Päckchen schaffte er noch, dann fuhr der Krankenwagen mit ihm davon.
Die Luft flimmerte über dem Friedhof. Aus den Feldern schwappte der Geruch von frischem Heu herüber. Landmaschinen begleiteten den Singsang des Priesters. Vom nahen Spielplatz war glucksendes Kinderlachen zu hören. Selbst in die unpassendsten Momente drängt sich das Leben, dachte ich. Meine Schwester schluchzte, als der Priester begann, das Gedicht vorzulesen und zu interpretieren. Ohne jedes Verständnis verbog er Rilkes Zeilen, bis sie zu seiner unglaubwürdigen Botschaft passten. Ich sah mich um. Keiner außer mir schien sich daran zu stören. »Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr«, las der Priester vor. »Das Haus des Herrn ist…«
»Geschmacklos, einfach geschmacklos!«, schrie ich. Ich riss dem Pfaffen den Zettel aus der Hand und zitierte das Gedicht wie mein Vater es getan hätte – mit wuchtigen Worten.
Am Ende stoben alle auseinander, angsterfüllt. Ich blieb allein inmitten dieses großen Sommers auf dem stickig heißen Friedhof zurück, über dem der Geruch von Zigarettenrauch lag.
© by Gregor Stefan Heuwangl. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – nicht gestattet.


Sehr schöner Text! Unterläuft das Erwartbare, des vorgegebenen Titels. Hat mir sehr gefallen.
Mein Lob galt dem Text „Sommer holen“ von Matthias Krahe. Für seinen Witz und seinen Blick und seine Sprache!
Ein wirklich berührender Text!
…die Geschichte Glückssommer!👑
Marlene Wasker, ein schwingender bewegender Text. Der mit besonderen Sprachbildern spielt und im Kopf Bilder entstehn lässt.
Es roch nach Sandwegen, die in der Sonne rösteten, eine bessere Somerbeschreibung habe ich selten gelesen und gesehen.
Glaubensgegerbte Bewohner – ebenfalls beeindruckend auf den Punkt gebracht.
Das Drama der Geschichte kommt ganz beiläufig daher, Kopfkino.
Danke