Die folgende Geschichte zählt zu den 11 Gewinnertexten zum Thema ›Der Sommer war sehr groß‹, die in Folge 96 des Schreibzeug-Podcasts gekürt, besprochen und vorgelesen wurden. Die Podcast-Folge kann hier angehört werden – und überall, wo es Podcasts gibt. In Folge 95 wurde allgemein über den Wettbewerb und die Einsendungen gesprochen. Über die Zahlen unter den Geschichten kann zwischen den Texten geblättert werden.
Im Schatten des Granatapfels
von Meltem Hacibayramoglu
Der Sommer war sehr groß. Die Granatapfelbäume ächzten unter der Last der Früchte. Adrian hob einen aufgeplatzten Granatapfel vom Boden und zerquetschte ihn zwischen seinen Händen. Dann hörte er seinen Namen. Alma rief. Er wischte seine Hände an der Hose ab und lief zurück zum Haus. Dort standen zwei Soldaten und fragten, wann er zuletzt den Slowenen gesehen habe. Er wusste es nicht. Wüsste er es, dann hätte er noch einen Erntehelfer. Die Soldaten gingen wortkarg vom Hof. Alma kam mit einer Tischdecke und Tellern aus dem Haus. »Fragen sie nach Marko?«, wollte sie wissen. »Ja«, antwortete er, »aber ich habe keine Ahnung wo er ist.« »Komm, hilf mir beim Tischdecken.« Alma reichte ihm die Teller. »Lass uns essen. Es ist auch noch eine Flasche Rotwein da.« Die dreibeinige Katze hoppelte an der Mauer entlang. Ihr linker Vorderfuß fehlte. Ihr Sprung auf die Mauer war trotzdem so elegant wie zu ihren besten Zeiten. Alma kochte ungern. Daher hatte sie alles was sie im Kühlschrank gefunden hatte auf den Tisch gestellt. Käse, Schinken, Tomaten und Honigmelonenstücke wechselten sich farblich ab. Die Brotscheiben hatte sie warm gemacht und etwas Butter dazugestellt. Sie setzte sich hin und griff zum Brot. »Wann hast du Marko das letzte Mal gesehen?«, fragte Adrian. Von weitem war ein leises Dröhnen zu hören. Alma legte ihr Brot zurück auf den Teller und ging ins Haus. Sie kam mit dem Rotwein zurück und murmelte, sie habe ihn vergessen. Das Dröhnen wurde immer lauter und die Katze sprang plötzlich von der Mauer. Alle Köpfe drehten sich Richtung Himmel, als die ersten Kampfflugzeuge über sie donnerten.
Marko rannte, rannte zurück zum Hof. Er hätte nicht ohne Alma gehen sollen. Er sah von weitem die Explosion, hörte den Knall, das Krachen und Bersten. Seine Bewegungen erstarrten. Die Kampfflugzeuge wurden kleiner, bis sie verschwanden. Der Hof lag in Trümmern und brannte lichterloh.
© by Meltem Hacibayramoglu. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – nicht gestattet.


Sehr schöner Text! Unterläuft das Erwartbare, des vorgegebenen Titels. Hat mir sehr gefallen.
Mein Lob galt dem Text „Sommer holen“ von Matthias Krahe. Für seinen Witz und seinen Blick und seine Sprache!
Ein wirklich berührender Text!
…die Geschichte Glückssommer!👑
Marlene Wasker, ein schwingender bewegender Text. Der mit besonderen Sprachbildern spielt und im Kopf Bilder entstehn lässt.
Es roch nach Sandwegen, die in der Sonne rösteten, eine bessere Somerbeschreibung habe ich selten gelesen und gesehen.
Glaubensgegerbte Bewohner – ebenfalls beeindruckend auf den Punkt gebracht.
Das Drama der Geschichte kommt ganz beiläufig daher, Kopfkino.
Danke