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Schreibzeug: Die 11 besten Texte eines großen Sommers

Die folgende Geschichte zählt zu den 11 Gewinnertexten zum Thema ›Der Sommer war sehr groß‹, die in Folge 96 des Schreibzeug-Podcasts gekürt, besprochen und vorgelesen wurden. Die Podcast-Folge kann hier angehört werden – und überall, wo es Podcasts gibt. In Folge 95 wurde allgemein über den Wettbewerb und die Einsendungen gesprochen. Über die Zahlen unter den Geschichten kann zwischen den Texten geblättert werden.

Leben

von Mark A.

Der Sommer war sehr groß. Die Hitze des Tages war bereits jetzt spürbar. Sie steckte in allen Wänden. In den Massen an aufgestapelten Betonplatten zwischen denen wir lebten. 7:23 Uhr und Fenster öffnen war sinnlos. Dann käme der Schwall heißer Luft, bis sich innen und außen nicht mehr unterscheiden ließen. In einem drückenden Umarmen, das einem die Luft raubte. Der Sommer war wie Mama. Was für ein Scheißgedanke. Komm in die Gänge.

Egal, wie langsam ich fuhr, dicke, heiße Tropfen Schweiß liefen meinen Rücken herunter. Ich stellte das Fahrrad zwischen den anderen ab, blickte mich kurz um, um dann im Gebüsch zu verschwinden und mit aller Kraft das klebende Shirt über meinen Kopf zu ziehen. Dürftig den Rücken und die Achseln abwischen, Deo drauf, das Neue an. Hoffentlich hatte das keiner gesehen. Ob Mama schon wach war? Ich checkte kurz Whatsapp: zuletzt online vor 5 Stunden – mitten in der Nacht. Ich bewegte mich durch die Aula, an schwitzenden Körpern vorbei. Rein in das Klassenzimmer, hinten die Ecke, wie immer. Die anderen ließen mich, waren mit sich beschäftigt und den Erzählungen vom großen Sommer. Sardiniengebräunt, maledivengebräunt, wasweißichgemacht. Strähnchen, Henna-Tatoos, bunte Holzperlen an Lederbändern. Abzeichen vom großen Sommer, den sie mit Leben gefüllt hatten. Dachten sie.

Die 11. Klasse des Georg-Büchner-Gymnasiums hatte keine Ahnung vom Leben, vom Sommer, von der Größe im Allgemeinen. Sie rannten in ihrer brutalen Ich-Haftigkeit durch die Gänge und hatten keine Ahnung von nichts. Der Sommer war sehr groß. Weil nichts passiert war. Ich schien der Einzige zu sein, der das begriff. Während um mich herum Aufenthalte in den USA, Australien oder Kanada geplant wurden. Ich würde hier sein. Die Bräune der anderen würde zurückgehen. Die Luft und der Beton einen weniger erschlagen. Mamas Umarmung würde bleiben, mit jedem dunkler werdenden Tag drückender als vorher. Ich würde mich kümmern und hoffen, dass nichts passiert.

© by Mark A. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – nicht gestattet.

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5 Kommentare

  1. Marlene Wasker, ein schwingender bewegender Text. Der mit besonderen Sprachbildern spielt und im Kopf Bilder entstehn lässt.
    Es roch nach Sandwegen, die in der Sonne rösteten, eine bessere Somerbeschreibung habe ich selten gelesen und gesehen.
    Glaubensgegerbte Bewohner – ebenfalls beeindruckend auf den Punkt gebracht.
    Das Drama der Geschichte kommt ganz beiläufig daher, Kopfkino.
    Danke

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