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Schreibzeug: Die 11 besten Texte eines großen Sommers

Die folgende Geschichte zählt zu den 11 Gewinnertexten zum Thema ›Der Sommer war sehr groß‹, die in Folge 96 des Schreibzeug-Podcasts gekürt, besprochen und vorgelesen wurden. Die Podcast-Folge kann hier angehört werden – und überall, wo es Podcasts gibt. In Folge 95 wurde allgemein über den Wettbewerb und die Einsendungen gesprochen. Über die Zahlen unter den Geschichten kann zwischen den Texten geblättert werden.

Das Ende

von Johannes Heskamp

Der Sommer war sehr groß.

Aber Björn hätte ihn bald bezwungen. Zehn Minuten. Vielleicht weniger. Trotz allem, trieb ihm der Gedanke ein Lächeln auf die spröden Lippen.

»Auf dich!«

Er nickte dem blassen Streifen zu, der die baldige Ankunft des ersten Herbsttages prophezeite.

Ein Schluck aus Jamals Flasche, dann lehnte er sich zurück und sah zu den Sternen auf. Sie blinkten so kalt, dass es ihn erschauern ließ.

Sein Verstand begann zu wandern und stieß in den ausgedörrten Windungen seines Hirns auf Bilder, die ihm ein wenig zu bunt schienen.

»Sterbe ich?«

Er lauschte Jamals Antwort.

»OK.«, sagte Björn. »Aber du bleibst, ja?«

Wie die meisten der 39 Sommer, die er erlebt hatte, war auch dieser plötzlich einfach da gewesen.

Trotzdem hatte er sich den milden Versprechungen des Junos verwehrt. Nicht einmal dem Zauber der lauen Nächte war Björn erlegen: Als eine Nachtigall die Ankunft des Sommers besang, hatte er von einem Kauz geträumt. Vom Ende.

Der Juli war noch schwerer. Schon am ersten Tag hatte der Sommer allen Anschein von Leichtigkeit abgelegt. Mit brutaler Härte schmetterte er von da an sein schweres Gleißen auf die Pflastersteine, über die Björn Tag für Tag zur Arbeit schritt. Wie Hammerschläge, die auf einen Amboss fallen.

Im August kam dann eine planlose Wut über den Sommer. Auf trägem Donner rollte er heran, nur um Björn kurz darauf mit der Hektik einer Hornisse den nächsten heißen Stich zu versetzen.

Erst der September schien so etwas wie Versöhnung zu bringen. Doch als man Björn fragte, ob er ein Projekt auf der Südhalbkugel übernehmen könne, sagte er ja. Sieben Tage, um in Windhoek den Sommer mit einem milden Winter zu betrügen.

Dies war, was den Sommer bewogen haben musste, mit letztem Atem einen Sandsturm zu entfesseln. So heftig, dass sie mitten in der Sahara abstürzten.

Der Sommer war tot. Ebenso Jamal. Und im Osten leuchtete der erste Herbsttag.

Aus der fliehenden Nacht wehte der Ruf eines Kauzes herüber und Björn sah, wie vor ihm eine dunkle Gestalt die Düne erklomm.

© by Johannes Heskamp. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – nicht gestattet.

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5 Kommentare

  1. Marlene Wasker, ein schwingender bewegender Text. Der mit besonderen Sprachbildern spielt und im Kopf Bilder entstehn lässt.
    Es roch nach Sandwegen, die in der Sonne rösteten, eine bessere Somerbeschreibung habe ich selten gelesen und gesehen.
    Glaubensgegerbte Bewohner – ebenfalls beeindruckend auf den Punkt gebracht.
    Das Drama der Geschichte kommt ganz beiläufig daher, Kopfkino.
    Danke

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