Wenn die moderne intelligente Frau abends gestresst nach der Arbeit und dem Einkauf im Bio-Supermarkt nach Hause gekommen ist, wenn die Reste des veganen Essens im Kühlschrank verstaut sind, dann kuschelt sie sich aufs Sofa und träumt von einem achtsamen Leben. Die Zeitschrift »Flow« hilft ihr dabei. Denn die Flow ist für »Paperlovers« gemacht. Ein raffiniert platzierter Anglizismus, den man nicht gendern muss, denn irgendwann ist auch mal gut damit und die Welt ist trotzdem schön.
Als Paperloverin (geht doch!) liest die Flow-Frau natürlich auch Bücher. »Bücher entspannen, verzaubern und inspirieren uns, aber sie können noch viel mehr«, offenbart uns das neue Sonderheft, das »Flow Lesebuch«, das »BÜCHER SPEZIAL« am Bahnhofskiosk.
Wenn die Flow von »unserem Leben« und »wir« spricht, dann meint sie die »gebildeten, kreativen und neugierigen Frauen«. Ich bin nicht die Zielgruppe. Aber wenn Frauen über das Brudermagazin Wolf schreiben, dann kann ich durchaus ein Blick in das »Flow Lesebuch« werfen, ein Sonderheft als »Buch« betitel, denn neben dem Magazin gibt es mittlerweile von Flow ein »Achtsamkeitsübungsbuch«, ein Kochbuch, ein »Ferienbuch«, einen »Abreißkalender für jeden Tag« und das »Diary 2017«. Und neuerdings eben auch den rückwärtsgelesenen Männerableger »wolF«. Alles Produkte der G+J Living & Food GmbH. Die Welt ist schlecht genug und der Eskapismus hat hier eine neue Welt geschaffen: basteln, runterkommen, die Welt mit allen Sinnen wiederentdecken. Wieder etwas Kind werden, den Kampf der Geschlechter mal für einige Momente vergessen und als erstes das Feld Dieses Flow gehört: ausfüllen (Ob das tatsächlich jemand macht?).
Andrea Diener, auf die die Adjektive gebildet, kreativ und neugierig uneingeschränkt zutreffen, hat bereits 2015 in der FAZ einen sehr schönen Text über ihre Flow-Erfahrung geschrieben, den ich als Basislektüre empfehle.
Zieht man das Flow-Lesebuch aus dem Zeitschriftenregal, dann sieht es so aus, als wäre es schon in der Altpapiertonne etwas feucht geworden. Doch die gewellten Seiten rühren daher, dass in das Heft furchtbar viel eingeklebt ist. Aber keine Werbung oder Kosmetikpröbchen, sondern Gimmicks aus Papier: ein Notizheft für »Meine liebsten Bücher«, ein Anleitungs- und Übungsbuch für »Brushlettering« (Buchstabenmalen), Postkarten für Buchfans, Papier für Schutzumschläge zum Selberfalten und zwei Buchposter. Außerdem gibt es vorperforierte Lesezeichen zum Heraustrennen. Herstellungstechnisch ist das Heft durchaus eine Herausforderung. Das Papier ist dick und hochwertig, auf den Kleberücken ist zusätzlich ein Leinenband aufgebracht. Es ist nicht so, dass es die Seiten besser fixieren würde, nein, es geht primär um die Haptik. Dafür verzichtet man sogar auf die Rückenbeschriftung.
»Wie Lesen unser Leben bereichert«, verkündet es vorn auf dem Umschlag, und das ist schließlich der Sinn und Zweck des ganzen Heftes: der gebildeten, kreativen und neugierigen Frau zu zeigen, dass Lesen intelligent, glücklich und reich macht. Naja, reich an Erfahrungen. Lesen ist »magisch«. Lesen hilft, der Frau »sich und die Welt besser zu verstehen«. Und logisch: »Die Emanzipation ist ohne Romane nicht denkbar«, steht auf Seite 36, denn »Um einen Roman zu verstehen, brauchte man auf einmal keine Bildung mehr, sondern nur seine Gefühle« (Seite 40). Ist diese Aussage nicht ein klein wenig frauenfeindlich? Egal.
Gemütlichkeit gehört beim Lesen mit dazu, die Tasse in der Hand, die Katze auf der Fensterbank. Ein Beitrag über den »Traum vom eigenen Buch« ist natürlich nicht mit einem Computer im Arbeitszimmer illustriert, sondern mit einer Schreibmaschine auf einem Holztisch an einem See, daneben Papier und Moleskine-Notizbuch mit einem Stein beschwert. Dass es kein handschmeichelnder runder Stein ist und die Bäume im Vordergrund Nadelbäume sind, stört die Optik nur minimal.
Sich laut vorzulesen erspart den Paartherapeuten, erfahre ich in einem Artikel, in einem anderen steht, dass Lesen gegen Liebeskummer, Stress oder einen gebrochenen Zeh hilft. Apropos: Die unausweichliche Schriftstellerin Juli Zeh erzählt von ihren Lieblingsbüchern, ebenso wie die unausweichliche Karla Paul.
Genauso unausweichlich sind die Seiten mit Shopping-Tipps, die hier »Web Shoppen« heißen: »Egal wo man lebt – die schönsten Dinge sind nur einen Klick entfernt«, schließlich will man beim Lesen ja nicht das Sofa verlassen. So kann man sich Buchregale und Lesestützen, den Raumduft-Diffuser »Fjord« oder den Kräuterlikör »Kalê« von daheim aus ordern. Allerdings wirken diese beiden Kommerzdoppelseiten wie ein Fremdkörper im Heft. Denn bei aller überheblichen männlichen Ironie, die man gewillt ist, diesem Heft entgegenzubringen, spürt man doch die Leidenschaft der Macherinnen fürs Lesen und die Bücher sehr deutlich. Das »Flow Lesebuch« ist ein Werbeheft fürs Lesen, aber es ist kein Werbeheft für aktuelle Bücher. Nicht einmal Werbung von Verlagen findet sich im Heft. Die einzigen Werbeseiten weisen auf andere Flow-Publikationen hin. Auch bei den unterschiedlichen Buchvorstellungen im Lesebuch hat man nie den Eindruck, dass einem aktuelle Buchneuerscheinungen untergejubelt werden sollen. Es ist wohltuend, dass hier auch auf Bücher hingewiesen wird, die schon etwas älter sind. Das passt ja durchaus zum Geist der angestrebten Entschleunigung. Und obwohl das Lesebuch selbst voll von Kuschel- und Lesekitsch ist, streift man bei den Buchempfehlungen literarisch eher selten die Kitschregion. Allzu Gesellschaftskritisches oder allzu Politisches ist freilich nicht zu erwarten, auf der anderen Seite hängt sich das Heft aber auch nicht an abgegriffenen populären Genrethemen dran, wie beispielsweise dem Krimi.
Dass man viele Buchtipps nicht mit lieblos platzierten Coverabbildungen präsentiert, sondern dass die Buchumschläge von Hand nachgezeichnet wurden, ist ebenfalls eine schöne Idee.
Trotz Kuschelromantik ist das Flow-Lesebuch ein erstaunlich ehrliches Sonderheft, dem man anmerkt, dass es Lesebegeisterte für Lesebegeisterte gestaltet und geschrieben haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Publikationen, die sowohl im Anzeigen- als auch im redaktionellen Teil immer deutlich machen, dass die Werbekunden im Mittelpunkt stehen, ist dies hier nicht der Fall. Das Niveau orientiert sich nicht nach unten.
Die weibliche Zielgruppe ist jedoch in der Ansprache sehr dominant, doch auch als Mann kann man das Flow-Lesebuch mit gutem Gewissen kaufen, um es der lesebegeisterten Partnerin, Bekannten oder Arbeitskollegin zu schenken.
Wolfgang Tischer
FLOW LESEBUCH. 170 Seiten mit Lesezeichen, Büchertagebuch, Brushlettering-Heft, Postkarten, Bucheinbandpapier und Postern. 12,95 Euro. G+J Living & Food GmbH. Erhältlich im gut sortierten Zeitschriftenhandel.