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Über Freunde und Wombats: Ralph Giordano im Interview

Ralph Giordano (Foto: Sabine Wirth)Im März 2007 veröffentlichte der Kölner Autor und Journalist Ralph Giordano zu seinem 84. Geburtstag seine Autobiographie »Erinnerungen eines Davongekommenen«. Der große Humanist legt hier ein sehr persönliches Zeugnis ab über die Zeit als Verfolgter im Dritten Reich, den politischen Irrweg als KPD-Mitglied, seine Tätigkeit als Fernsehjournalist rund um den Globus und seine Passion als Schriftsteller. Seine unerschöpfliche Schaffenskraft, von der noch kein Ende in Sicht ist, wird ihm selbst manchmal richtig unheimlich.

Eine weniger bekannte Seite, die Liebe zu Tieren, zieht sich auch wie ein roter Faden durch seine Werke.

Sabine Wirth sprach für das literaturcafe.de mit Ralph Giordano.

Das literaturcafe.de: Generell heißt es, man schreibt sich etwas von der Seele, was einen bedrückt und beschäftigt. Hat Ihnen das Schreiben geholfen, die furchtbaren Erlebnisse während der Nazi-Diktatur zu verarbeiten oder reißt es nicht eher alte Wunden auf?

Ralph Giordano: Alle 19 Bücher, die ich bisher geschrieben habe, kommen aus der Tiefe meiner Biographie. Es war eine mir selbst gestellte Aufgabe, kein direktes von der Seele schreiben. Alles, was ich erlebt habe, ist von den 12 Jahren im Dritten Reich bestimmt.

Das literaturcafe.de: Wie erklären Sie sich das Verhalten der Menschen, die weiterhin zu Ihnen gestanden haben? Waren der »Klempner«, Frau Nieting, Frau Schulz, die sie versteckte, und Freunde immun gegen die Nazi-Propaganda? Ist es eine Charakterfrage?

Ralph Giordano: Zu Menschen stehen, die in einem Gewaltsystem gefährdet sind, bedeutet, dass man selbst in Gefahr gerät. Deshalb ist Frau Schulz für mich eine Heldin, was sie selbst immer von sich gewiesen hat.

Das literaturcafe.de: Was bedeutet für Sie Freundschaft, gerade in schwieriger Zeit? Was für eine Bedeutung hat für Sie Freundschaft heute?

Ralph Giordano: Freundschaft war für mich damals lebenswichtig. Ich säße nicht vor Ihnen, hätte ich keine Freunde gehabt. Walter Jens ist z. B. bis heute einer meiner besten Freunde. Wir waren von der Sexta bis zur Obersekunda zusammen in einer Klasse. Heute kann ich selbst bestimmen, wen ich als Freund habe.

Das literaturcafe.de: Die Freundschaft und Liebe zu Tieren ist bei Ihnen besonders ausgeprägt. Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Ralph Giordano, geb. am 20.3.1923 in Hamburg, Vater von italienischer Abstammung, Mutter Jüdin, Kindheit und Jugend von Unterdrückung und Angst geprägt, überlebte die letzten Monate bis Kriegsende im Kellerversteck, 1961 Beginn als Fernsehjournalist erst beim NDR, von 1964-1988 dreht er Aufsehen erregende Fernsehdokumentationen über Krisenherde in aller Welt, seit 1982 als Autor tätig, insgesamt 20 Bücher erschienen: u.a. 1982 »Die Bertinis«, seine verfilmte Familien- und Verfolgtensaga, 1987 »Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein«,1991 »Israel, um Himmels willen, Israel«, 1994 »Ostpreußen ade. Reise durch ein melancholisches Land«, 1997 »Der Wombat und andere tierische Geschichten«(leider vergriffen), 2002 »Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr« und 2007 »Erinnerungen eines Davongekommenen«.

Ralph Giordano lebt in Köln. Er hat zahlreiche Preise erhalten, u.a. das Bundesverdienstkreuz 1990, Leo-Baeck-Preis 2003 und Rheinischer Literaturpreis Siegburg 2006.

Ralph Giordano: Vor allem die Mutter. Sie war geradezu verrückt nach Tieren, nicht nur nach Tieren mit Fell. Spatzen hatten es ihr besonders angetan. Sogar Mücken durften nicht getötet werden. Grundsätzlich hatte unsere Familie eine besondere Beziehung zu Tieren.

Das literaturcafe.de: Sie zog es gerade zu den »hässlichen« Geschöpfen. Warum?

Ralph Giordano: Schöne Tiere entzückten mich, hässliche entflammten mich. Natürlich bewundere ich Tiger oder Leoparden. Aber gerade die kuriosen unfertigen Kreaturen schlugen mich in den Bann. Das Warzenschwein, die Hyäne oder der Wombat.

Das literaturcafe.de: Haben Sie ein Lieblingstier oder Tiere, die Sie gar nicht mögen?

Ralph Giordano: Ich liebe Tiere, zu denen man nicht so ein inniges Verhältnis hat wie z. B. zu Hunden. Egal, welches Tier, die Natur hat doch etwas Einmaliges fertig gebracht. Beim recht unproportionierten Wombat mit seinem unfertigen Aussehen hat man das Gefühl, als hätte die Natur nach Feststellung, dass ihr dieses Modell misslungen war, auf halbem Wege halt gemacht.

Das literaturcafe.de: Glauben Sie an eine gemeinsame »Sprache«, eine unsichtbare Bande zwischen Mensch und Tier?

Ralph Giordano: Es ist falsch, wenn man in Tiere etwas hineinhumanisiert. Die Natur hat ihre eigenen Gesetze. Aber die Tieren besitzen viele Eigenschaften wie der Mensch: Zorn, Angst, Eifersucht, Neid, aber auch Mitleid. Oft frage ich mich, was geht in ihrem Kopf vor? Doch das Denkvermögen des Menschen besitzen Tiere nicht. Unsere Fähigkeit zu denken, in die Natur einzugreifen birgt aber auch die Gefahr, sie zu zerstören.

Das literaturcafe.de: Hätten Sie auch Tierfilmer werden können?

Ralph Giordano: Das hätte mir nicht genügt. Ich befasse mich nicht mit Monothemen. Mich interessieren komplexe Themen. Ich habe stets ein großes Bouquet an Themen bearbeitet.

Das literaturcafe.de: Welche Tierschutz- oder Umweltorganisation unterstützen Sie?

Ralph Giordano: Ich unterstütze den Verein »Vier Pfoten«, eine Organisation in Hamburg, die sich um Vierbeiner wie Katzen und Hunde kümmert. Ansonsten gibt es ein weit verzweigtes Netz an Organisationen. Ich achte jedoch immer darauf, wo am wenigsten für Verwaltung ausgegeben wird.

Das literaturcafe.de: Eine andere Leidenschaft in Ihrer Familie: die Musik! Großvater, Vater und Mutter waren begabte Musiker. Haben Sie die Musikalität geerbt?

Ralph Giordano: Ich bin musikalisch. Ich habe aber kein Instrument gelernt. Meine Mutter hatte nicht die pädagogische Begabung. Es gab keine Ambitionen, mir das Klavierspielen beizubringen. Auch wenn ich vielleicht beruflich etwas mit Musik hätte machen können – mein Hauptgebiet ist das Schreiben. Ich bin ein Mensch des Wortes.

Das literaturcafe.de: Welchen Traum oder Wunsch möchten Sie sich noch erfüllen?

Ralph Giordano: Ich habe keinen besonderen Wunsch mehr. Ich konnte alles machen, was ich wollte. In die Speichen meiner Begabung konnte ich erst 1964 greifen, als ich beim WDR begann. Ich habe 25 Jahre Fernseherfahrung, seit 1982 schreibe ich. Eines werde ich aber in diesem Jahr noch verwirklichen: Eine Reise nach Ostpreußen, Masuren.

Das literaturcafe.de: Herr Giordano, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sabine Wirth

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