Wellers Wahre Worte am Café Tisch
September 2000 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


Linksradikal? Rechtsradikal? Egal: Radikal!
Über die realsatirische Kunst der radikalen Rechthaberei
Wilhelm Weller


Der Schrecken des Satirikers ist die Realsatire – weil sie ihm scheinbar mühelos den Rang abläuft.
     Und sie gefährdet seine Existenz: Was bleibt ihm, wenn sich das Phänomen ausbreitet? Wenn das, was er kunstfertig entwickelt, einfach so, ganz nebenbei von einem Dilettanten, ja, von jedem Beliebigen formuliert und überboten wird?

Diese meisterliche Idee etwa hätte von mir sein können:

Ein jovial - freundlicher Brief an den Bundeskanzler, der - nach einigen interessanten, historischen Ausführungen - mit der Aufforderung schließt, er, der Bundeskanzler, möge nun in das Exil nach Nord-Korea gehen, um das dortige Regime bei der Vorbereitung eines atomaren Erstschlages gegen die USA zu unterstützen.
     Klingt auf den ersten Blick natürlich abwegig, Unsinn, logisch. Dann aber, wenn man es gründlich bedenkt, fragt man sich: »Ja, warum eigentlich nicht?« Genau das ist Satire!

Und wer stellte derart mein komisches Können in den Schatten? Locker, witzig, einfaltsreich, sprachlich souverän?
     Zitieren wir ihn doch direkt:

»Lieber Gerhard Schröder,
     da ich diese Zeilen in freundschaftlicher Absicht an dich richte, vermeide ich es, dich mit deiner Amtsbezeichnung anzusprechen. ......
     Heute weißt du, dass du dich geirrt hast und ich Recht hatte (sic!) ......
     Gehe ins Exil und organisiere von dort aus den Aufstand des Deutschen Volkes gegen die Fremdherrschaft - und schütze dich vor den Meuchelmördern, die sie gegen dich ausschicken werden! ... in Sorge um unser Volk und in wehmütigem Gedenken an einen Freund
     dein Horst Mahler«

Ja, Horst Mahler ist es, eigentlich ein alter Wilder der Vergangenheit, Wirtschaftsanwalt und in den 70er-Jahren linksterroristischer Genosse von Andreas Baader und Ulrike Meinhof.
     Noch immer stolzer Verfasser einer Schrift »Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa«, die sich mit dem Titel »Neue Straßenverkehrsordnung« tarnte.
     Viele Leser wurden in Unfälle verwickelt und orientierten sich daher wieder an der alten Straßenverkehrsordnung, u.a. der heutige Vizekanzler.

Mahler blieb sich treu: ein überzeugter Geisterfahrer, am Steuer die Finger fest geschlossen, stolzer Blick, mehr Ehr, mehr Gegenverkehr, notfalls wird geschossen.
     Nun aber fordert er mich heraus, ein brillanter Komiker, der, um es mit seinen hegelgeschulten Worten zu sagen, nur »noch kein hinreichendes Wissen von sich selbst hat.« Oder etwa doch?

Ist ein solcher Mann, der mit gleicher Inbrunst zunächst den Faschismus bekämpft und ihn dann ersehnt und überdies meint, er habe schon immer Recht gehabt, vielleicht ein genialer agent provocateur des Dadaismus inmitten des Links- und Rechtsradikalismus? Wer ist dagegen Kurt Schwitters?

Mahlers Lebensstationen: FDJ - SPD – SDS – RAF– PLO – KPD – MAO – FDP – NPD – NSDAP fügen sich zu einem national-biographischen Kunstwerk, einer Ursonate in Irr sozusagen.

Wer so auf der Höhe seines unfreiwillig komischen Schaffens steht, ist natürlich verwurzelt: in Märtyrerblut, schlesischem Heimatboden und literarisch - satirischer Tradition. Cervantes!

»Kämpfer für das Gute, stiftet der Ritter nur zu oft Schaden, in Zorn und Verblendung. Er wütet in einer Hammelherde. Er befreit Räuber, die ihr Handwerk alsbald wieder aufnehmen werden. Er ist imstand, die allerunschuldigsten Leute zu verwunden, ohne nachher viel Bedauern zu zeigen, denn immer ist er im Recht.«

So beschreibt Golo Mann den Ritter von der traurigen Gestalt – und so ist Horst Mahler mit seinen blauen Augen auch ein Wiedergänger von Don Quijote.

Tja, was wäre das für ein fabelhafter Ritterroman, wenn Gerhard Schröder tatsächlich ins Exil ginge, nach Nord-Korea, oder in den palästinensischen Gaza-Streifen, zusammen mit seinem alten Freund Horst. Der könnte ihm das Schießen beibringen und dann auf in den Kampf gegen die amerikanische Fremdherrschaft und das Weltjudentum. Endsieg.
     Triumphale Heimkehr. Viertes Deutsches Reich. Pressekonferenz.
     Enthüllungen: Doris Köpf ist die Nichte von Eva Braun.

Heil Mahler! Heil Schröder! Schtonk!

Ihr Wilhelm Weller

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