| Berlin, Podewil, 27. Februar 1999: Ein schaler Nachgeschmack Sabrina Ortmann über die Präsentation »Hypertext Berlin« Die Idee der Veranstalter für die diesjährigen Softmoderne war: Was lassen sich Autoren, die bisher nur für den Printbereich geschrieben haben, für das Internet einfallen? Mit ihrer Neugier konnten die Veranstalter die Autoren offenbar nicht anstecken. Denn die Präsentationen der aus dieser Idee entstandenen Projekte hinterließen irgendwie einen schalen Nachgeschmack. Gezeigt wurde eben Text, der mehr oder weniger willkürlich mit Hyperlinks zu anderem Text versehen und mit Fotos illustriert war. Einige Projekte verzichteten ganz auf textinterne Hyperlinks. Das ist nicht schlimm, denn die Texte und Fotos waren durchweg gelungen. Nur stand während des gesamten Abends die übrigens unbeantwortet gebliebene Frage im Raum: Wozu braucht man dafür nun eigentlich das Internet? Der Slam-Poet Claudius Hagemeister erwähnte im Vorfeld zu seiner Präsentation zumindest das WWW und erläuterte einen Vorteil, den er für die Literatur in dem neuen Medium sieht: »Ich finde es sehr gut, dass man Texte ins Netz stellen kann, die noch nicht fertig sind.« Die Möglichkeit des prozessorientierten Schreibens schätzte er als Vorzug des Netzes ein. Allerdings wurde diese Möglichkeit für sein Netzprojekt »Berlin« leider nicht genutzt. Gezeigt wurden kleine Textepisoden, die Beobachtungen aus dem Alltag Berlins beschrieben. Innerhalb jeder Episode führten jeweils ein bis drei verlinkte Worte zu anderen Episoden. Hagemeister erklärte, dass die Linkstruktur zufällig sei, dass die Links eigentlich auch verzichtbar wären: »Eigentlich ist es eine Kurzgeschichtensammlung, durch die man sich auch einfach linear durchklicken kann.« Er habe sich aber bemüht, die Episoden assoziativ zu verknüpfen. Der Text war mit Geräuschen aus der Stadt untermalt, die auch ausgeschaltet werden konnten. Auf aufwendiges Design wurde verzichtet: Die Texte zeigten sich Schwarz auf Weiß und weckten damit Gedanken an das gute alte Buch. Als nächstes präsentierte Michael Rutschky zusammen mit der Webdesignerin Claudia Klinger seinen »Berlinroman«. Rutschky erklärte, er wollte zeigen, wie sich der Mythos Berlin in der gebauten Stadt darstelle: »Dabei muss man die Stadt selber als Roman verstehen. Der Berlinroman hat dokumentarischen Charakter.« Da die ideale Stadt quadratisch sei, haben Rutschky und Klinger sich für ein Quadrat aus sieben mal sieben anklickbaren Feldern entschieden, wobei sich mit einem Foto versehene und graue Felder abwechseln. Von hier aus gelangt der Leser zu einer mit Text versehenen größeren Ansicht der Fotos und zu Zitaten anderer Autoren über die Stadt Berlin. Textinterne Hyperlinks gibt es nicht. Die Navigation richtet sich jeweils nach der Position des Feldes in dem großen Quadrat: also nach rechts, nach links, nach oben oder nach unten. Interessant war die Vision eines »Rutschky-Würfels« am Ende der Präsentation: »Ich kann mir gut vorstellen, aus dem Quadrat einen Würfel zu machen, also eine dritte Dimension hinzuzufügen«, sagte der Autor. Nach Angaben Rutschkys hat das Material für das Projekt bereits existiert: »Der Berlinroman war eigentlich ein Diavortrag.« Auf die Fragen aus dem Publikum nach Notwendigkeit und Nutzen des Internets für dieses Projekt antwortete Rutschky knapp: »Ich habe gar keinen Computer.« Etwas mehr Spaß an der Sache schien Kathrin Röggla gehabt zu haben, die gemeinsam mit der Webdesignerin Sylvia Egger ihr Projekt: »Nach Mitte« vorstellte. In diesem geschlossenen, nach Angaben der Autorin sehr auf Orientierung angelegten Hypertext-System kann der Leser aus vielfältigen Blickwinkeln erfahren, warum man eben nicht in den Berliner Bezirk Mitte gelangt. Peter Glaser ging bei seiner Präsentation von »Licht, Berlin« dagegen ganz bewusst zurück zu den konventionellen Darstellungsformen von Literatur: schwarzer Text auf weißem Hintergrund, kleine Episoden und Zitate, nur vereinzelte Links, keine Grafik. Glaser betonte, er wolle mit dieser Rückbesinnung »das literarische Immunsystem stärken«. Das Internet berge für Autoren die Gefahr, zu Programmierern zu werden und die Literatur aus den Augen zu verlieren. »Ich möchte Autor bleiben«, sagte Glaser. Großen Unterhaltungswert hatte die Darbietung von Norman Ohler, dem Autor der »Quotenmaschine«. Gemeinsam mit einer Fotografin stellte er sein Projekt »246H« vor. Die Idee dahinter: Die in den U-Bahnhöfen befindlichen Schilder für die U-Bahnfahrer mit der Aufschrift 2, 4, 6 und H sind in Wirklichkeit Überwachungsschilder, die sowohl Gespräche als auch innere Monologe der Fahrgäste aufzeichnen. Gezeigt wurden sehr gelungene Fotos aus dem Innern verschiedener Berliner U-Bahnhöfe und die Gespräche und Monologe, die von den Schildern aufgezeichnet wurden. Etwas ratlos entließ mich nach drei Stunden schließlich die letzte Präsentation in die Nacht. Ein Trio von Essayisten, die unter anderem für den Berliner Tagesspiegel schreiben, David Wagner, Jörg Paulus und Reiner Merkel, stellten gemeinsam mit Wolfgang Tischer ihr Projekt »Das Zeitalter der Konversationseuphorie« vor. Das Ganze soll ein kollaborativer Text sein, Ausgangspunkt waren die Telefonverzeichnisse der Autoren. Das Ziel ist die Vernetzung dieser Telefonverzeichnisse im Internet. Ich fragte mich sofort, warum sie denn, wenn sie doch ein Netzprojekt machen, nicht ihre eMail-Verzeichnisse genommen haben? Vielleicht, weil sie, wie Rutschky, über keinen PC und somit auch über kein eMail-Verzeichnis verfügen? Aus dem Anfang, den die drei Autoren mit ihren Texten vorgegeben haben, soll durch die Mitarbeit weiterer Autoren eine Art Kettenbrief entstehen. Vorgetragen wurden in auf mich etwas ermüdend wirkender Länge und Monotonie Telefonnummern und die Assoziationen der Autoren über die dazugehörigen Personen. Daraufhin folgte der zweite Teil der Präsentation, in welchem Wolfgang Tischer die Umsetzung der Texte im Netz erläuterte. Diese zeigte sich als reine Textdarstellung der drei Telefonverzeichnis-Texte, einer Stichwortliste und einem Gästebuch, welches sich Anrufbeantworter nennt. Das Ganze existiert in zwei Ausführungen: in Farbe und in Schwarz-Weiß, wobei die farbige Variante als »euphorische Version« bezeichnet wurde. Euphorie wollte sich da bei mir nicht einstellen, schon gar nicht als dann noch der Versuch unternommen wurde, eine Diskussion über die mögliche Darstellung in Komplemantärfarben oder Schwarzweiß zu entfachen. So wollte denn auch im Publikum niemand auf diese Diskussion einsteigen, sondern es ergab sich eine sicherlich berechtigte Kritik an der gesamten Veranstaltung. Vermisst wurde die Umsetzung der Grundidee von Hypertext nach Nelson: Die Möglichkeit der Interaktivität, des Löschens, Überschreibens und Hinzufügens von Text. Dem Internet wurden alle Projekte, so gelungen sie ansonsten auch waren, meiner Meinung nach nicht gerecht, denn die kreativen Möglichkeiten, die das Netz bietet, wurden nicht genutzt. Entweder wie bei Glaser ganz bewusst, oder wie bei Rutschky aus Unkenntnis des Mediums. Bei dem Telefon-Verzeichnis-Projekt lag dies eindeutig an unterschiedlichen Auffassungen und der mangelnden Kommunikation sowohl zwischen den Autoren als auch mit dem Web-Designer. Irgendwie ging da wohl einiges aneinander vorbei. Ich habe mich nach diesem Abend gefragt: Müssen denn bereits erfolgreiche Autoren unbedingt ins Internet, wenn sie das Medium nicht kennen oder nicht mögen oder einfach kein Interesse daran haben? Autor, bleib bei deiner Schreibmachine ;-) Sabrina Ortmann 27.02.1999 Sabrina Ortmann lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Zusammen mit Enno E. Peter gründete und betreibt sie die Literatur-Website »Das Berliner Zimmer«. |