Berlin, Podewil, 27. Februar 1999:

»Wir wollten keine Trends setzen«

Das Literatur-Café hat die drei Veranstalter der Softmoderne Thomas Wegmann, Hillmar Schmudt und Stephan Porombka unmittelbar nach der Veranstaltung nach ihren ganz persönlichen Resümees gefragt und welche Trends sie für die Zukunft der elektronischen Literatur sehen.

Thomas WegmannThomas Wegmann: »Wir haben das Projekt HypertextBerlin ganz bewusst als ein Experiment angelegt, in dem wir ebenfalls bewusst Autoren, die sich im Print-Bereich etabliert haben, aufgefordert haben, einen Hypertext zu entwerfen. Die Ergebnisse sollen keine Trends für die Netzliteratur setzen. Ich fand es sehr spannend, dass die Tendenz bei diesen Texten zumeist in Richtung Reduktion und Minimalismus ging und man sich sehr stark auf das Textuelle, auf die literarische Qualität, verlassen hat und weniger den multimedialen Budenzauber betrieben hat, sondern die literarische Qualität in den Vordergrund gestellt hat, aber auch - wie ich fand - auf ganz interessante Art und Weise Verlinkungen bzw. Multimedialität ermöglicht hat. Bei Claudius Hagemeister war das Schrift und Akustik, also das geschriebene und gesprochene Wort, was auch in ganz überraschenden Zusammenhängen auftritt und auch das Unfertige dieser Projekte betont hat, die zum Teil auch weiterverfolgt werden sollen.
     Nach Trends gefragt würde ich aber sehr vorsichtig sein. Ich denke Netzliteratur lebt nachwievor davon, dass es sehr viele Varianten, sehr viele Spielarten innerhalb des Netzes gibt, die man unter Netzliteratur fassen kann. Hypertexte und auch das Projekt HypertextBerlin sind sicherlich nur eine Variante davon. Inwiefern das gelungen ist oder nicht gelungen ist, kann jeder und jede unter
www.softmoderne.de selber überprüfen.«

Hilmar SchmundtHilmar Schmundt: »Es waren sehr verschieden Beiträge, die sich schwer zusammenfassen lassen. Was mir als wichtigster Punkt aufgefallen ist, könnte sein, dass die signifikanten Unterschiede weniger zwischen den Web-Design orientierten Hypermedien-Poeten und den Printautoren verlaufen, sondern dass es sich eher um Mediengenerationen handelt, die wir hier beobachten können. Das heißt, die Reduktion auf relativ einfache Strukturen eher bei den Autoren, die sagen wir über 40 sind, und der Hang zum Spielerischen eher bei den jungen Leuten zu finden ist. Das war ein Kriterium, dass mich bei der Präsentation fast angesprungen hat.
     Als wichtigsten Trend erachte ich eigentlich die Hinwendung zur Sprache auch im Web und nicht nur auf CD-ROM, wie wir das schon vor ungefähr vier Jahren gesehen haben. Das heißt also der Versuch, die Poesie wieder dorthin zu bringen, wo sie eigentlich hingehört, nämlich nicht auf die Seite aus Papier, sondern zum Sprachorgan, zur Stimme, bis hin zum Gesang des Autoren zum Ohr des Leser oder besser Zuhörers. Mittlerweile ist das Web so weit, dass es soundfähig wird, dass Klänge sich einsetzen lassen, und das ist möglicherweise einer der wichtigsten Vorteile, die das Netz bietet. Es gibt ja verschieden Vorteile: Der eine ist die Distribution - unter Umständen unter Ausschluss von Lektor und Verlag. Ein sehr interessanter Aspekt. Der zweite ist die Verlinkung. Es wurde heute immer wieder danach gefragt: Verdammt, wo sind die Links? Was ist verlinkt? Wie sieht es mit der Struktur aus. Und der dritte Aspekt, der weder mit Verlagen noch mit Links zu tun hat, ist das gesprochene Wort, was eine unglaubliche Vielfalt ermöglicht. Die menschliche Stimme ist wahrscheinlich das älteste Medium der Kommunikation und vielleicht auch das Vielseitigste, für das unser Sensorium am besten ausgeprägt ist – im Gegensatz zu Hyperlinks, im Gegensatz zum Buchlesen, Wir haben zwar eine sehr lange Buchkultur, fünfhundert Jahre ist nicht schlecht, aber verglichen mit – sagen wir mit dem Aussterben der Neandertaler - vielleicht zehntausend Jahren Homo sapiens sapiens, der sich durch die Kommunikation prägt, ist die Stimme das feinste, vielseitigste und wichtigste Medium, das wir haben. Deswegen ist der Beitrag von Hagemeister, der von der Slam-Poetry her kommt, ein ganz wichtiger Aspekt, weil er auch die Grenze zwischen dem Netz, dem Monitor und der Veranstaltung schließen könnte. Slam-Poetry mitschneiden, ins Netz stellen, als Startpunkt nehmen für weitere Slam-Veranstaltungen, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Das ist glaube ich das, was das Jahr 1999 in diesem Bereich prägen wird, auch nach meinen Beobachtungen in der Netzliteratur-Liste, wo es ständig um diesen Themen geht.«

Stephan PorombkaStephan Porombka: »Wir wollten ja weder Trends machen oder setzen, noch Trends nachforschen, sondern wir wollten innerhalb des weit ausdifferenzierten Feldes von dem, was überhaupt als Literatur möglich ist, im Moment weitere mögliche Differenzen einziehen und kucken was kommt. Unsere Idee ist nun diesmal gewesen, vornehmlich nicht die Leute anzusprechen, die eher programmieren, aber weniger schreiben können - oder "Content generieren", wie das bei einigen Flachdenkern ja so schön heißt. Das ist bei den letzten Literaturwettbewerben der Fall gewesen. Wir wollten andersherum Leute ansprechen, die schreiben, aber nicht unbedingt programmieren können. Also haben wir Autoren und Autorinnen gefragt, die sich im Printbereich einen Namen gemacht haben. Und denen haben wir dann Web-Designer an die Seite gestellt.
     Am Ende wollten wir aber nicht sagen: Das sind jetzt die letztgültigen Hypertexte, die dabei rauskommen. Wir wollten ganz schlicht sehen, was denn dabei rauskommt, wenn wir einen elektronisches Literaturexperiment mal von dieser Seite aufziehen. Deshalb hatte ich auch zu Beginn der Veranstaltung gesagt, dass man über die Ergebnisse streiten muss. Nun kommt für uns dabei natürlich kein Trend heraus. Denn man sieht an den Ergebnissen, wie unterschiedlich sie ausgefallen sind. Jeder Text für sich nimmt einen Trend auf oder begründet ihn: Glaser mit seinem gelungenen Low-Tech-Text z.B., der ja fast melancholisch aussieht. Glaser, ein Hacker der ersten Stunde, hat sich geradezu jedem Hype verweigert und orientiert sich an der reinen Lesbarkeit und damit Schlichthheit. Er selbst meint, dass er den Weg geht, den die elektronische Popmusik in den siebzigern gegangen ist: weg vom Elektro-Bombast hin zu schlichtesten E-Versionen von Kraftwerk. Neben diesem Text steht dann aber einer, wie ihn Rutschky und Klinger entworfen haben, der auch durch sein Design lebt und der ja noch viel weiter entwickelt werden soll bis hin zu einer interaktiven Würfelstruktur. Also wenn man das sieht, ich kann das nur nochmal deutlich sagen, dann muss ich schwer tun damit, zu sagen, in welche Richtung das alles jetzt tatsächlich geht. Eher würde ich sagen, es differenziert sich immer weiter aus, und es wird immer unklarer – und das ist auch gut so – was eigentlich die elektronische Literatur sein könnte, und damit wird es auch lebendiger. Man muss einfach den Weg zurück gehen, weg von den großen Thesen über die Literatur, hin zu Betrachtungen von Texten, die tatsächlich da sind. Und dazu haben wir eben unsern Beitrag geleistet, indem wir gesagt haben: Macht mal!«

27.02.1999


Zurück