Archiv der Kapitel Prolog 01.11.2001 02.11.2001 03.11.2001 04.11.2001 | Kapitel 3 - Großalarm | 03.11.2001 | Als ich am Samstagmorgen aus meinem Zimmer komme, ist er noch nicht wach. Ich schreibe ihm einen Zettel: Bin Brötchen holen. Mach schon mal Kaffee. Auf dem Schrank im Flur liegt ein Brief, dem noch eine Marke fehlt. Ich stecke ihn ein, um ihn zur Post zu bringen. MILZBRAND großlettert die Bildzeitung auf dem Tresen. Ein erster Milzbrand-Verdachtsfall in Deutschland. Beim Springer-Verlag scheint man wohl Beteiligungen an Gasmaskenfabriken erworben zu haben, denn anders lässt sich diese plump-kitschige Panikmache nicht erklären: Die roten Buchstaben auf schwarzem Grund hat man mit kleinen Löchern versehen. Am Abend dieses 3. November 2001 wird sich herausstellen, dass es ein Fehlalarm war. Ich kaufe die Brötchen und nehme spontan auch zwei Berliner mit. Auf der Postamt fummle ich den Brief aus der Stofftasche, auf dem Zeitung und Bäckertüten liegen. Als ich ihn der Postbeamtin (oder ist das jetzt nur noch eine Postangestellte?) unter der Glasscheibe durchschiebe, da wird mir plötzlich bewusst, wie gefährlich mein Berlinerkauf war. Wenn jetzt Puderzucker am Brief klebt? Man würde die Post evakuieren, ein Sonderseucheneinsatzkommando würde anrücken und spätestens heute Nachmittag würde ich im Gefängnis sitzen. »Soso«, würde der Kommissar mit einem herablassenden Lächeln sagen, »Sie hatten nur Berliner gekauft«. Und am nächsten Morgen würde mein Bild auf der gleichnamigen Zeitung stehen. »ER (roter Pfeil auf mein Bild) versetzte Deutschland in Panik«. Aber da hatte die Postangestellte (oder ist das doch noch eine Beamtin?) schon meinen Brief ergriffen, sagte »Da bekomm' ich 'ne Mork zehn von Ihn'«, mein Bild verchwindet von der Titelseite, und ich stelle fest: »Aha, aus dem Osten«. Als ich zurückkomme, hat er schon Kaffee gemacht und sitzt im Bademantel am gedeckten Frühstückstisch. »Morgen.« »Morgen.« Wie immer sieht er noch nicht ganz wach aus. »Und? Was macht der Roman.« »Ach, hör auf!« Ich schmiere mir ein Brötchen und fische den Kulturteil aus der Tageszeitung. Keine sehr dicke Samstagsausgabe. Wohl wenig Stellenanzeigen. Auf der zweiten Seite fällt mir eine Meldung auf. »Morgen ist wieder Poetry Slam, die machen da irgendwas mit Romanfiguren aus dem Internet.« »Hm?« »Na, der Poetry Slam, den die einmal im Monat machen. Hab' ich dir doch schon von erzählt. Wo jeder seine eigenen Texte vorlesen kann und das Publikum dann über den besten abstimmt«. »Schon klar, aber was ist das mit den Romanfiguren und dem Internet.« »Verstehe ich auch nicht genau.« Ich reiche ihm den Zeitungsteil rüber. Er versteht aber auch nicht so recht, um was es da gehen soll. »Was soll den BXT bedeuten?« »Weiß nicht. Wir können doch einfach mal hingehen. Du warst sowieso noch nie da. Ich hab' dir doch schon immer mal vorgeschlagen, du könntest da auch mal mitmachen!« Er schien kurz zu zögern und war dem Gedanken nicht ganz abgeneigt. »Na? Du morgen beim Slam auf der Bühne neben einer Romanfigur aus dem Internet? Das wär' doch was, oder?« |