Der Weg zum Meer

Urlaub am Meer I

Hermann
Mensing

Über Halbnackte und Nackte

Montag

Am Pool zwischen Hotel und Dünen zum Westen. Auf der Liege. Darüber: der augenblicklich nun blaue Himmel. Ringsum: Kübelpalmen. Gebleichtes Teakholz auf der nächsthöheren Ebene. Getrennt vom Strandvolk, das sich halb nackt und nackt sonnt. So könnte der Titel lauten: Über Halbnackte und Nackte.

Die Fahrt in zunehmenden Nebel, am dichtesten zwischen Amersfoort, Hilversum und Amsterdam. Ab Haarlem der blaue Himmel und mit ihm die erste Ahnung vom Meer. Der Verkehr fließt. Kurzes Stocken zwei - drei - vier Mal, als wolle man überlegen, ob und wie dieser Ansturm einzudämmen sei. Vielleicht, so eine der Überlegungen, könnte man die Autokarawane an eine Klippe führen und das Problem der reisenden Menschen in fossile Brennstoffe verpuffenden Fahrzeugen beenden.
     Aber nichts da. Der Morgennebel reißt auf, die Überlegungen gleich welcher Art sind beendet, der Fahrer, ich, kämpft mit der Müdigkeit, denn ganz gleich, wohin er auch reist, die Nacht vorher schläft er schlecht oder gar nicht und treibt dann zur Abreise an.

So (oder so ähnlich) ist es gekommen, dass der beschriebene Mensch und seine noch nicht vorgestellte Begleiterin, seine Frau, ihr Ziel erreichten. Wenngleich man noch sagen muss, dass es um Alkmaar eine kurze Irritation gab, die einen weniger orts- und landeskundigen Fahrer sicher stärker verunsichert hätte.

Zwei liegen also am Pool, sie Zeitung lesend, er schreibend, die beiden Pool-Schwimmer - Mutter und Sohn - sind soeben in ihren Zimmern verschwunden, jemand, der eine Katze ruft (Poes Poes Poesje!!!), eine Cessna, die langsam und tief fliegend ein Werbebanner die Küste entlang zieht, eine gurrende Taube - vielleicht aber auch fickende Menschen. Vor meiner türkisfarbenen Liege wird sich das Leben der Hotelgäste langsam entwickeln.

Vorsicht also: dies ist Klatsch. Immer sind die anderen schlecht.
     Wundervoll, dass man die Dinge so vereinfachen kann!!!

Poes Poes Poesje ist eine blauäugige Siamkatze. Sehr verschmust.

Hinzu kommt ein Siam-Perser-Mischling, geradezu süchtig, gestreichelt zu werden.

Nie-Nichtdenker könnte man ihn nennen, wenngleich das nicht korrekt ist, denn niemand denkt nie. Dennoch zählt er sie zur Kategorie der genialen Nichtdenken-Könner, jemand, die das Denken verschläft, wenn es geht.
     Auch jemand, die das Denken vertrödelt, wenngleich jederzeit wach und bereit, es wieder aufzunehmen und mit aller Schärfe einzusetzen.

Im späten Sonnenschein auf der Terrasse unseres Zimmers, das Meer kann ich sehen und hören, die Möwen ziehen über den Strand. Müssen Mülltonnen haben als Magen, ziehen die Hinterlassenschaft der Badegäste der mühsamen Suche nach Seezeugs offenbar vor.

Dienstag

Einer sitzt am Pool, Wind streicht herum, genug, um zu fühlen, dass der Tag schön ist. Zwei waren schon Schwimmen im Meer, haben schon die Vorteile des besonderen spezifischen Gewichts des Wassers genutzt, sind als Toter Mann / Tote Frau mit der leichten Dünung geschwebt, wie es sonst nur der Traum zulässt.
     Mit geschlossenen Augen wird dieses Schweben fast wie das Schweben im Mutterleib, und er erinnert sich, dass es in den Siebzigern eine Therapie gab, bei der man in einen rundum geschlossenen Tank stieg, in dem eine körperwarme Salzlake war: stockdunkel war es in diesem Tank.

Als wir den Strand verließen, tauchte ein junges Paar auf. Deren Kind, ein Mädchen von knapp eineinhalb Jahren, lief ein paar Meter hinter den Eltern. Es war nicht leicht, durch den Sand zu gehen, aber das war nicht das Größte. Das Größte kam jetzt erst. Fassungslos blieb das Kind stehen, schaute auf das Meer, das erste Mal war es hier, erfuhr ich vom Vater. Das Kind stand da wie angewurzelt. Zum Glück war zumindest sein kleiner Retter bei ihm, der Schnuller, auf dem es in hoher Frequenz saugte, denn das Meer ist unfassbar, nicht nur beim ersten Mal.

Zwei sitzen am Pool, haben gefrühstückt, sitzen und genießen den Schatten, denn das ist das Schönste an warmen Sommern. Er denkt, dass es schade ist, dass über Menschen im Hotel schon so viel geschrieben wurde, denn interessant könnte das allemal sein.

Die Garderobe, die Gesichter, der Auftritt beim Frühstück. Wie oft holt wer was und dann: diese Mutter, die gestern, als wir am Pool saßen, mit ihrem Sohn (ca. 16 Jahre alt) schwamm und irgendwann sagte, morgen hat mein kleiner Großer Geburtstag.

Und so hatte sie heute früh alles vorbereitet. Kerzen brannten, Geschenke lagen bereit, nur der kleine Große ließ auf sich warten. Mutter saß da beleidigt, ihr gegenüber der Vater. Die Kerzen brannten herunter, Mutter und Vater verließen den Frühstückstisch und setzten sich in die Lounge. Er begann die FAZ zu lesen, sie versank in enttäuschtem Mutterglück.
     Nun ist wichtig zu sagen, dass ihr Gesicht auch ohne die soeben erlittene Enttäuschung auf schnell ausbrechende Hysterie schließen ließ.
     Leider war der Fortgang dieser Geschichte nicht mehr zu beobachten: man verließ die Lounge.

Während all dies geschah, saß zwei Tische weiter ein Mann Ende Fünfzig, silbergrau, nicht dick, eher kompakt, saß da in frischem weißen T-Shirt und auf seiner linken Brust, die sich durch den Stoff abzeichnete, lag die ganze Zeit ein großer Brötchenkrumen. Fühlte mich ein wenig an die wandernde Nudel in einem der Loriot-Sketche erinnert.

Auch schön: die aus Kleidungsstücken (T-Shirts, Kleider, Blusen) nach oben ragenden, eingenähten Label mit aufgedruckten Informationen zum Waschgang.

Bei all den Halbnackten und Nackten (am Pool, am Strand) fallen auch Narben auf; eine sehr große gestern, die von von der Hüfte einer jungen Frau über die rechte Pobacke bis zum Übergang in den Schenkel zog.

Die Dummheit schöner Körper ist oft erschreckend.
     Woher ich das weiß? - Nun, ich liege am Pool, und belausche die Gespräche von drei jungen Frauen. Jede mit nichts anderem als ihrem Aussehen und darüber hinaus mit der Frage beschäftigt, wie zum Teufel das Handy, das sie ständig anstarren, in Holland funktioniert, damit Schnauzi aus Essen anrufen oder angerufen werden kann.

Manchmal hat man nicht mehr als eine Hand breit Wasser unterm Arsch und schwimmt dennoch den Toten Mann, als wäre man auf hoher See.

Die High-Performance-Titte findet man - falls überhaupt - nur im Alter bis Ende 20. Als Voyeur gibt es keinen besseren Platz als diesen Strand. Alles bewegt sich in ständigem Hin und Her, nicht einmal das Meer steht still. Alles schaut, was sollte man sonst tun.

Die Strandmüllmänner fahren in einem sechsrädrigen, flachen John Deere Trecker mit Ladefläche von Mülleimer zu Mülleimer. Sie sind zu zweit. Noch während der Trecker vor den bis zur Hälfte in den Sand eingegrabenen Mülltonnen ausrollt, steigt der Fahrer ab, öffnet die Tonnen und schaut hinein. Ist eine erst leicht gefüllt, steigt er mit dem linken Bein in die Tonne und tritt den Inhalt nach unten. Ist die Tonne voll, zieht er den blauen Müllsack heraus, bindet ihn zu und wirft ihn auf die Ladefläche. Nun tritt der zweite Mann in Aktion. Er stopft einen neuen Müllsack in die Tonne. Frage nun: wie riecht der linke Fuß des ersten Müllmannes nach getaner Arbeit?

Mittwoch

Zehn Uhr. Den ersten Auftritt haben wir hinter uns. Das Leben im Hotel ist eines unter Beaufsichtigung. Jeder Schritt wird von irgendjemandem registriert, kommentiert, eingeschätzt. Wir stecken mittendrin und genießen das scheinbar Private, das jeder vor sich her trägt wie eine Monstranz.

Liefen gestern Abend am Meer entlang ins benachbarte Egmond, um dort bei einem Ägypter zu essen, bei dem wir im letzten Jahr einmal gegessen hatten. Damals schien es, als würde er eher gemieden, wir waren die einzigen Gäste, das junge Mädchen, das uns bediente, war schüchtern und kaum des Holländischen mächtig. Gestern waren wir froh, einen Platz zu bekommen.
     In Holland etwas zu essen, das mit - sagen wir - Witz zubereitet wurde, ist nicht ganz einfach. Die niederländische Küche beschränkt sich auf deftig Derbes, auf Weichgekochtes, auf halbe gebratene Hähnchen mit Apfelmuß, Pfannkuchen jeder Abart und Fritten.
     Abweichendes wird nur von Migranten gekocht. Die Alltäglichkeiten der indonesischen Küche haben längst einen Platz in den Essgewohnheiten der Niederländer, während der Migrant selbst - ähnlich wie bei uns - oft außen vor steht. Dass die indonesische Küche Überbleibsel niederländischer Kolonialpolitik ist und von eingewanderten indonesischen Kollaborateuren ins Land gebracht wurde, scheint kaum jemandem bewusst.

Ägyptisches also. Offenbar hat der ökonomische Erfolg seit unserem letzten Besuch die Sorgfalt der Speisenzubereitung etwas verwässert. We were not amused.

Schon auf dem Weg nach Egmond waren Nebelbänke vom Meer aufgezogen, den Rückweg, den wir mit einem Bus zurücklegen wollten, der jedoch schon seit drei Jahren nicht mehr verkehrt, legten wir in den Wolken zurück. Milde feuchte Luft.

Egmond ist voller Touristen, die auf und ab spazieren, ihr Geld ausgeben und aussehen, wie man als Tourist gern aussieht: deplatziert, in gezwungener Laune, denn dies ist der Urlaub und der nächste kommt erst wieder in einem Jahr.

Die Dünen zwischen Egmond und Bergen sind hoch, Sandwälle gegen die Winterstürme, ein Naturschutzgebiet, das Nordhollandse Duinrerservaat, das Kilometer ins Land reicht und sich weit in den Norden erstreckt.

Obwohl wir den Schatten gesucht haben, ist unsere Haut gerötet.

Das Meer ist bewegt heute. Schwamm nackt, als noch niemand am Strand war, heute früh.

Das Hotel ist weder eindeutig ein E noch ist es ein U, aber der Vorstellungskraft hilft es vielleicht auf die Sprünge, es sich als E vorzustellen. Die beim E nach rechts weisenden Balken weisen nach Westen. Nord und Süd sind demnach unten und oben. Im Norden des Gebäudes ist der Eingang mit Rezeption. Unser Zimmer liegt Parterre zwischen dem unteren E-Balken und dem zweiten zum Westen. Es hat eine kleine Terrasse, von der eine Treppe durch eine mit Heckenrosen bepflanzte Böschung auf die obere Ebene des Innenhofes führt. Dort wachsen Reseda, Agarven, Katzenminze blüht, es gibt eine Art Pergola, verschieden große Granitfelsen zur Dekoration, Teakholzsitzgruppen stehen verteilt, Brombeeren grenzen das Grundstück ein und sind fast reif, zum Westen erhebt sich eine hohe Düne. Dahinter ist das Meer.
     Eine Ebene tiefer liegt der Pool. Liegen stehen ringsum. Eine kleine Oase ist dies, eine Mulde, sehr angenehm, hier zu sitzen, windgeschützt und, wenn man will, geschützt vor der Sonne unter großen Schirmen.
     Im Süden des Hotels ist der große Frühstücksraum und die Lounge mit Kamin. Die Wände sind birkenholzfarben tapeziert, darauf einzeln und mannshoch Stranddisteln. Eine Tür führt hinaus auf eine große Terrasse, von der man auf das Dünenreservat schaut.

Wir sind mit dem Rad über Land nach Alkmaar gefahren. Waren am Morgen im Wald östlich von Bergen aan Zee: Kiefern und kleinwüchsige Eichen, Eschen und sicher auch Blaubeeren, verborgen im Unterholz tiefer im Wald.
     Wunderschön dann die Fahrt über Land. Wiesen und Gräben, Windmühlen und ein wachsamer Hund, der uns schon auf dem Hinweg verbellt, uns bellend und wedelnd bis zum Ende seines Grundstückes folgte. Auf dem Rückweg lag er schlafend auf dem Rasen vorm Haus, wurde erst durch mein Schnalzen wach, erinnerte sich sofort seiner Aufgabe, folgte wieder, bellend und wedelnd.
     In den Marschen die steinernen Hinterlassenschaften unserer großdeutschen Vorfahren. Kompakte kleine Bunker aus dickem grauen Beton, der auch nach sechzig Jahren noch fest steht und wohl nur mit massivem Einsatz von Dynamit von der Erdoberfläche getilgt werden könnte.
     Aßen Fisch in Alkmaar, wurde Zeuge einer eher ratlos bis traurigen Hochzeitsgesellschaft im Hof von Alkmaar, einem Restaurant, in dem wir Kaffee tranken.
     Einfach und leicht war es, den Radwegweisern zu folgen, knapp eine drei viertel Stunde nur für einen Weg. Zurück am Spätnachmittag gingen wir hinunter zum Strand und genossen das Meer, das über Nacht aufgeschäumt war vom Wind und in kräftigen Wellen ans Land rollte. Herrliches Wellenreiten.
     Sitze nun auf der Terrasse, habe meinen neuen Anzug angezogen, mein Auftritt. Ich warte darauf, dass wir Essen gehen.

Lese augenblicklich »Der Herzausreißer« von Boris Vian. Staune nicht schlecht über den tiefen Hass, mit dem er die Welt in Grund und Boden stampft. Verstehe schon, was ihn treibt, mag aber humorlose Menschen nicht und habe auch mit Surrealisten meist meine Probleme. In der Regel reicht mir die Realität. Ich muss sie nicht surreal überhöhen.

Aßen im Strandcafé. In einer Ecke eine Gruppe geistig Behinderter. Einer kam zu uns an den Tisch und sagte, er habe heute Geburtstag. Wir gratulierten. Wenig später kam er erneut, um uns seine Geschenke zu zeigen: ein kleines Tamburin, eine gelbe Blockflöte, ein Bilderbuch über das Leben auf dem Bauernhof. Er selbst sah aus wie ein Bauernjunge, bei dem etwas schief gegangen war. Vielleicht eine kurze Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr zum Gehirn während seiner Geburt, vielleicht auch ein Gen-Defekt. Irgendeine winzige Verschiebung der Hirnchemie, und wir werden anders gedacht.
     Was ich nicht weiß, ist, ob dieses »anders gedacht werden« auch Einsicht in dieses Anderssein beinhaltet.
     Die Gruppe der anderen geistig Behinderten hatte registriert, dass wir mit ihm sprachen. Bald kam eine junge Frau zu uns, schaute uns ernst an, sagte, es sei kühler geworden, und fragte, ob wir glaubten, dass es noch ein Unwetter gäbe. Wir verneinten.
     Als die Gruppe ging, grüßten uns weitere zwei. Die anderen Gäste grüßten sie nicht.

Beobachteten ein junges schwarzes Mädchen, vielleicht dreizehn Jahre alt, als es ins Meer lief. Sehr grazil, lange, fahrig rudernde Arme, die sie jedes Mal, wenn eine Welle auf sie zuschäumte, hochwarf, oft auch wie Flügel weit von sich gestreckt und die Hände in wechselnden Winkeln zum Arm. Als sie dann schließlich eingetaucht war, blieb sie lange.

Keine zwei Meter von uns ein etwa Dreijähriger. Begeistert von sich und der Welt lief er laute Rufe ausstoßend herum. Kampflaute, die er mit Aufstampfen und extra wilder Intonation unterstützte. Trat Sandhaufen kaputt und bekämpfe imaginierte Gegner. Ein kleiner dummer Mann.

Donnerstag

Sonne und frischer Wind. Fragen uns, wie es sein kann, das zwei übereinkommen, ihr Zimmer zu verlassen, ein paar Schritt die Terrasse hinab zu den teakhölzernen Liegestühlen zu gehen, um dort ein wenig den Morgen zu verdämmern, wie er dann los geht und sie sagt, sie käme sofort und dann doch erst eine viertel Stunde später kommt. Da, sagt er lachend, besteht Erklärungsbedarf. Was, fragt er, tun Frauen in dieser Viertelstunde?

Wolken treiben als weiße, aufgeschüttelte Kissen über den Himmel. Die Sonne brennt erbarmungslos scharf, ich muss nach wie vor vorsichtig sein.

Hatte mir zum Frühstück einen Auftritt im »the cruel sea« T-Shirt ausgedacht, eine australische Band, die wir vor vier, fünf Jahren im Gleis gesehen haben, ein Münsteraner Club, mehrfach ausgezeichnet für sein kulturelles Programm. Ein sehr pulsierendes Konzert war das, was natürlich niemand der anwesenden Frühstücksgäste wusste bzw. wissen konnte. Ich nehme an, alle anderen hatten auch über ihre Auftritte nachgedacht.

Alles gruppiert sich um den Pool, die Sonne wechselt mit Schatten, jeder tut, als sei er privat, aber nichts entgeht niemand, es stimmt, wenn Paul Watzlawik sagt: Man kann nicht nicht kommunizieren. Und so ist wohl auch dieses Schreiben nicht mehr als ein Zeichen für mich und andere.
     Fragt sich, was es zu bedeuten hat.

Wurde an drei verschiedenen Stellen von Tieren gestochen und ausgesaugt. Mein mitteldicker schon älterer Körper bildet zudem zunehmend Web- bzw. Strickmuster der von mir getragenen Kleidung ab. Schließe daraus auf täglich abnehmende Regenerationsfähigkeit meiner Haut.

Windiger Tag mit schäumender See. Wanderten über den breiten Strand nordwärts nach Schoorl aan Zee. Von dort durch Dünen, Heide und Kiefernwald zurück nach Bergen aan Zee.

Dem Meer zuzuschauen macht müde.

Auf MTV die ewig gleichen Vaginalzuckerinnen zu viel rappenden/redenden Schwarzen. Wahrscheinlich muss man ihnen nur eine Kamera zeigen und sie legen los.

Nudisten zwischen Bergen aan Zee und Schoorl. Verbrachten einige Zeit in Betrachtung verschiedener Penisgrößen. Sie behauptet, dem keine Beachtung zu schenken. Harrrr. Dass wir nicht lachen. Ich registriere jeden Arsch, jede Brust, jeden Bauch. Das strengt an.

Freitag

Vor lauter schwer entzifferbaren Träumen heute früher als sonst. Wir sitzen auf der von Sonne gefluteten Terrasse. Ich werde gleich Fahrräder mieten, wir werden nach Bergen fahren, vielleicht auch nach Schoorl, mal sehen. War schon im Meer heute früh, aber die Wellen waren mir zu hoch, das quer strömende Wasser war von solcher Kraft, dass ich nur bis zur Hüfte ins Wasser ging.

Nachmittags am Strand. Das Nordholländische Dünenreservat ist ein Paradies für Radfahrer, Fußgänger und Reiter. Lagen eine kleine Weile in der Heide, bummelten durch Bergen, das ganz offensichtlich den besser Verdienenden gehört, ein Dorf eingebettet in Kiefernwald.
     Villen aller Art und Geschmacksrichtungen, gern BMW, Porsche, Audi, Jaguar und Mercedes.
     Modisches mit Stil, und in einer Seitenstraße eine kleine Galerie. Im Fenster sehen wir ein ca. 40 x 30 cm großes Ölgemälde, eine nordholländische Landschaft, viel Grün also, eine ins Bild führende Gracht, eher ein Kanal, Bäume, ein Gehöft, nicht nur hübsch, sondern gut, und wir beschließen, das Bild zu kaufen. 50 Euro sind geschenkt für ein Andenken an eine schöne Woche. Leider öffnet die Galerie erst um 13 Uhr. Es ist halb zwölf, als wir den Entschluss fassen, noch eine kleine Runde durch Wald und Dünen zu radeln.
     Wir fahren nach Schoorl. Das Dorf ist unattraktiv, aber ich finde dort die große Düne, die all die Jahre, seit wir 1974 einmal an dieser Küste waren, in meiner Erinnerung steckte und die ich seitdem trotz mehrerer Aufenthalte in dieser Gegend nie wieder gefunden hatte. Sie hat fünfzig Meter Gipfelhöhe, vielleicht mehr, und ist eine touristisch ausgebeutete Sehenswürdigkeit. Man klettert hinauf und rennt den weiten, sandigen Abgang hinab, rollt, fällt, überschlägt sich und beginnt wieder von Neuem. In meiner Erinnerung hätte diese Düne zwischen Egmond und Bergen sein müssen. Nun weiß ich es besser. Auch das Restaurant »Klein Switzerland« liegt an der gleichen Straße, an der die Düne liegt und an das ich mich ebenfalls erinnere.
     Die Niederländer neigen bei aller Liebe zu Verkleinerungen auch zu Übertreibungen wie dieser.
     Um 13:30 waren wir zurück bei der Galerie, doch das Bild, das rechts im Schaufenster gestanden hatte, war nicht mehr da. Wir betraten die Galerie. Die Galeristin war gerade dabei, es einzupacken. Ein deutsches Ehepaar hatte es gekauft. Ärgerte mich grün, fachsimpelte ein wenig mit der Galeristin, fragte, woher sie solche Bilder bezieht, ließ mich trösten und fand, dass ich eigentlich mehr Rechte auf das Bild besaß. Das deutsche Ehepaar lächelte unsicher.

Tröstlich, dass die Schönheit des ersten Eindrucks, atemberaubend oft und in vielen Fällen sogar beleidigend, bei näherer Betrachtung Stück für Stück auseinander fällt. Doppelt tröstlich wird es, wenn man feststellt, dass die Schöne, ihr Mann und die sie umgebenden Kinder Arschlöcher sind. Wie wird man ein Arschloch? - Nun, oft durch Geburt. Oft aber auch durch Elternhaus, Reichtum ...

In meiner Erinnerung an die hohe Düne fuhr ich über eine Straße, die rechterhand von am Hang aufsteigendem Wald begrenzt war. So sieht die Straße auch heute noch aus. Interessant, dass C. sich nicht daran erinnert, wenngleich wir doch auch schon damals zusammen waren. Weder hat die Straße noch die hohe Düne irgendein Bild bei ihr hinterlassen. Selektive Wahrnehmung ist merkwürdig. Wir sind merkwürdig.

Letzte Nacht vor der Rückreise. Fuhren nach Bergen zum Essen. Ein wenig unheimlich ist es da schon mit all den Reichen. Bergen ist eher ein Park. Vielleicht sollte man das Dorf einzäunen. Fuhren nachmittags an einer Schule vorbei. Wie man sich dort wohl als Lehrer dort fühlt mit Kindern schwer reicher Eltern?

Aßen Italienisch. Wurde von einer sehr aufmerksamen jungen Frau bedient, die ein Zungenpiercing hatte. Wenn sie sprach, sah man die kleine silberne Kugel im Zentrum ihrer Zunge. Erinnerte mich an die Perle in einer Muschel. Sehr anziehend fand ich das. Als ich zahlte, sagte ich ihr, dass mir ihr Piercing gefällt. Sie freute sich.

Samstag

Am Strand. Warten seit einer halben Stunde darauf, dass die dunkle Wolke, die noch vor der Sonne steht, endlich dem blauen Himmel nordwestlich von ihr Platz macht. Sollte sich jedoch herausstellen, dass bis dahin schon wieder andere Wolken aufgelaufen sind, fahren wir ab. Wehte heute der Wind, der gestern ging, wäre die Wolke längst fort.

Der Frühstücksraum wurde heute vom grauenhaften Parfum einer alten, gegerbten Dame derart ungenießbar, dass wir auf der Stelle die Flucht antraten. Zum Glück hatten wir unser Frühstück längst beendet. Was glauben alte Damen eigentlich? Dass sie gut riechen, wenn sie sich in Parfumwolken hüllen?

Am Strand, da, wo die Wellen auslaufen, baute ein Vater von vier kleinen blonden Mädchen eine mitgebrachte Aluminiumleiter auf, gruppierte sein Kinder in der Gischt und stieg auf die Leiter. Mutter stand mit ausgestrecktem Arm daneben, auf den sich die Kleinen konzentrieren sollten, Vater fotografierte.

Schwammen bis Mittag und fuhren dann heim. Stilles Ein- und Ausfädeln mit möglichst großem Abstand zu allen anderen. Möglich ist das, nur die Wenigsten praktizieren es. Lieber scheint ihnen das Stoßstange-an-Stoßstange-Fahren.

Gegen 18 Uhr zurück. Da ist die Post. Da sind die Mails. Alles Geld weg.

Hermann Mensing

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Außerdem zum Thema:
»Überall ist Rimini« - Die Fortsetzung von »Über Halbnackte und Nackte« finden Sie auf der Homepage von Hermann Mensing.
Urlaub am Meer II: »Sylt, Premiere« von Helmut Beckmann

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