Remember The Alamo
von Markus Linner

Ich gehe zu den Stadtwerken, um mich zu beschweren. Ich bin nämlich zu dem Schluss gekommen, dass die Stadtwerke für jeglichen Unbill, der mir in meinem Leben bisher widerfahren ist, verantwortlich sind.
     Jedenfalls sagt die Frau zu mir: »Ja bitte.«
     »Ich möchte mich bitte beschweren«, sage ich. Herrgott, warum sage ich »bitte«; ich könnte mich in den Hintern treten.
     »Worüber?« Sie strahlt mich an, blond und freundlich. Das machen sie absichtlich. Die schulen ihre Leute, damit die Beschwerden gleich von vornherein im Sand verlaufen sollen.
     Ich sage ein wenig bestimmter: »Allgemein. Die Energiepreise. Das Öl, der Krieg, die beschissene Wirtschaftslage...« Und bei diesen Worten denke ich an meinen Kontostand. Das bringt mich in die notwendige Rage, und ich fahre fort: »...also die Wirtschaft, wissen Sie, die liegt ja nicht von allein am Boden. Fällt ja nicht von alleine um, die Konjunktur und Arbeitslose wachsen auch nicht auf dem Feld, also was ich sagen will, verantwortlich sind eigentlich Sie!«
     »Ich?«, grinst sie mich an und öffnet irgendwie telekinetisch den obersten Knopf ihrer strengen Beamtinnenbluse.
     »Nein, natürlich nicht Sie, wie könnten Sie denn.«
     Ich blicke verlegen zu Boden.
     »Die Welt. Nein, ich meine Die Regierung, ähm...«
     Dann fällt mir wieder ein, wo ich bin: »Die Stadtwerke, wollte ich sagen, jawohl, die Stadtwerke sind schuld!«
     Hätte Sie mich doch beinahe drangekriegt, die kleine Schnepfe! Die dachten wohl ich falle auf so ein postpubertäres blondes Würstchen rein, aber nicht mit mir!
     »Ich hole Ihnen mal den zuständigen Kollegen, der kann Ihnen sicher weiterhelfen«, sagt sie.
     Ha, feige Nuss, denke ich und sehe mich triumphierend nach der hinter mir wartenden Menge um. Das betrogene Volk braucht nur ein Sprachrohr, einen der Tacheles redet, einen wie mich! Nur, hinter mir wartet gar niemand mehr. Ist auch schon spät.
     Als ich resigniert den Kopf zum Schalter zurückdrehe, steht ein Mann vor mir, der mir ziemlich bekannt vorkommt.
     »Sie sind - ähm - sind Sie wirklich - John Wayne?«, frage ich.
     »Jawohl, der bin ich, mein Junge. Was willst du hier?«
     »Ähm, ich wollte mich beschweren, wegen dem...«, aber weiter komme ich gar nicht.
     »Das heißt: ‚Sir, ich wollte mich beschweren, Sir!’ Du Rotzlöffel.«
     »Moment mal Mr. Wayne, wir sind hier nicht bei den Green Berets.« sage ich.
     »Ah, Green Berets, toller Film. Der war klasse. Heldenmut und Nationalstolz!«
     »Mit Verlaub, Mr. Wayne, Sir, der Film ist ein übles, faschistoides Propaganda-Machwerk, voller Durchhalteparolen und unverhohlenem Rassismus.«
     »Naja, das kommt auf den Standpunkt an, mein Junge.«
     »Pah, Standpunkt. Abgesehen davon sind Sie tot. Sie sind an Krebs gestorben.«
     »Das war ein Film mein Junge. Der Shootist, da bin ich an Krebs gestorben. Aber dank Laudanum hab ich’s überhaupt nicht gemerkt, weißt du.«
     »Neinein, Sie sind in echt an Krebs gestorben. Weil Sie nämlich unbedingt beweisen wollten, dass radioaktive Strahlung Kinderkacke ist. Drum haben Sie ‚Der Eroberer’ in Nevada, mitten im Atomtestgebiet gedreht. Zwanzig Jahre später war die gesamte Crew tot, und Sie auch.«
     Er sieht mich erstaunt an.
     »Wo hast du den diesen Bullshit her, mein Junge? Ist ja eine üble Geschichte.«
     »Ähm, aus dem Fernsehen.«
     »Aha, und wer sagt dir, dass das kein Film war? Hm?«
     Eigentlich wollte ich mich ja beschweren. Ich fange noch mal an:
     »Aber was ich sagen wollte...«
     »Aber Green Berets war gut. Die grünen Teufel. Toller Film«, unterbricht er mich.
     »Mhm, ja. Die haben euch aber super in den Arsch getreten, in Vietnam.«
     »Das ist ein anderer Film mit der Arschtreterei. Das hat John Cleese gesagt.«
     »Stimmt aber. Die HABEN euch in den Arsch getreten.«
     Er schweigt und sieht aus dem Fenster. Ich glaube jetzt ist er beleidigt.
     »Ihr seid doch eh alles Faschisten«, motzt er mich plötzlich an.
     »Wie, was, ich? Ein Faschist? Sie sind ja verrückt!«
     »Seid ihr wohl, ihr Deutschen. Lauter Faschisten.«
     »Nein, Moment, Sie sind hier der Nazi, da gibt’s sogar ein Lied drüber.«
     »Ja das hab ich gehört. Verdammte Punks. Aber ich, ein Nazi - pah! Ein bisschen konservativ, ok. Aber Nazi...«
     Er grummelt in sich hinein, dann sagt er:
     »Bullshit, Nazi. Immerhin habe ich über Marokko Widerstandskämpfer aus dem dritten Reich geschleust.«
     »Das war Humphrey Bogart.«
     »Hm. Aber ich habe die Bundeslade vor den Nazis gerettet!«
     »Das war Harrison Ford.«
     »Scheiße. Ich habe das Universum von meinem Vater befreit!«
     »Das war Mark Hamill.«
     »Wer?«
     »Luke Skywalker.«
     »Achso der. Hm. Du bist ein Riesenklugscheißer, hat dir das schon mal einer gesagt?«
     »Lieber Klugscheißer als Nazi!«
     »Naja ist ja egal. Trotzdem. Ich war immer bei den Guten. Und ich kann auch singen, zum Beispiel in Rio Bravo.«
     »Ha! Da haben gar nicht Sie gesungen, sondern Dean Martin und Ricky Nelson. Allerdings ein schöner Film. Den mag ich wirklich. Tolle Geschichte.«
     »Ja, der ist toll, nicht? Wie ich Dean Martin den Weg weg vom Alkohol gezeigt habe.«
     »Ja, großartig, vor allem weil Sie selbst andauernd besoffen waren.«
     »Das ist nicht wahr, das kannst du nicht beweisen. Und lieber besoffen als Faschist.«
     »Sie SIND ein Faschist, tut mir Leid, da beißt die Maus keinen Faden ab. Aber die Studios haben Sie sicher gezwungen diese Rollen zu spielen...«
     »Gezwungen? Pah. Einen Amerikaner zwingt keiner zu irgendwas! Niemand hat mich gezwungen nach Vietnam zu gehen!«
     »Sie waren doch gar nicht in Vietnam.«
     »War ich wohl, bei den Green Berets.«
     »Das ist ein Film, Mr. Wayne, haben Sie doch selber gesagt.«
     »Ach, DAS ist auf einmal ein Film. Aber dass ich tot sein soll ist keiner? Du machst es dir ganz schön einfach. Faschist.«
     »Selber Faschist. Natürlich ist das ein Film. Genauso wie der Shootist. Aber dass Sie an Krebs gestorben sind, das ist echt.«
     »Soso, und wieso stehe ich dann jetzt hier? Hm? Um mir dein blödes Geschwafel anzuhören?«
     »Keine Ahnung warum Sie jetzt hier stehen. Das wundert mich ja auch. Jedenfalls wollte ich hier auch nicht über Filme plaudern, sondern...«
     »Wir reden ja auch nicht über Filme, mein Sohn. Wir reden über die Wirklichkeit. Und die Realität ist immer nur ein dünner Abklatsch der Filme.«
     »Das finde ich ganz schön weit hergeholt. Vor allem wenn man bedenkt, dass Sie ein faschistoider, betrunkener Schauspieler sind, noch dazu seit fast dreißig Jahren tot.«
     »Und Sodomit.«
     »Wie bitte?«
     Jetzt sieht ER betreten zu Boden.
     »Naja ich dachte ich sollte es dir sagen. Wo dir doch Rio Bravo so gut gefällt.«
     »Na sieh mal an. Ein Sodomit. So mit Tieren?«
     »Nein, ja auch. Aber eigentlich bedeutet das - ähm - na du weißt schon. Die Hintertür.«
     »Hintertür?«
     »Ja, aber ich war immer gottesfürchtig, mutig und patriotisch. Und immer bei den Guten«
     »Oh Mann. Diese Männerfreundschaften in all ihren Filmen - die Kameradschaft...ist das wirklich?«
     John Wayne holt tief Luft. Dann sieht er mich an und sagt:
     »Mein Junge, jetzt hör mir mal gut zu. Denk immer an Alamo!«
     »An den Film?«
     »Natürlich nicht, Blödmann, an das echte Alamo. Remember the Alamo!«
     »Sie waren dabei? Achtzehnhundertsechsunddreißig?«
     »Es war furchtbar, mein Junge, grausam. Wir waren 180 gottesfürchtige Sodomiten. Alleine in einem Fort. Am zweiten Tag ging uns der Schnaps aus und am dritten konnte keiner mehr sitzen. Es ist einsam da draußen.«
     »Und? Dann?«
     »Wie und dann? Das war’s.«
     »Wie das war’s? Und die Moral?«
     »Die Moral, was fragst du nach der Moral, du Trottel, pah! Es ist einsam da draußen! Die Moral ist das Erste, wo du ein Loch rein machst um es zu pimpern. Und die Pferde waren längst aufgegessen und der Schnaps alle. Einmal haben sie irgendwo ein Schaf gefunden, da habe ich sie angebrüllt, sie sollen es rasieren und zu mir bringen. Die wollten es aber lieber essen. Und plötzlich kamen 40.000 verlauste mexikanische Monarchisten und haben uns allesamt über den Haufen geschossen. 180 aufrechte, gottesfürchtige Sodomiten. Alle erschossen.«
     »Und die Moral? Legenden sterben nicht?«
     »Es ist einsam da draußen.«
     Ich seufze. Das mit dem Beschweren wird wohl nichts mehr. John Wayne genehmigt sich einen Schluck aus einem Tonkrug. Dann rülpst er leise und sagt mit seinem berühmten Blick auf die untergehende Sonne:
     »Sich zu entschuldigen ist ein Zeichen von Schwäche.«
     Es wird wohl wirklich langsam Zeit für mich. Aber eins muss ich noch fragen.
     »Mr. Wayne, Sir?«
     »Ja, mein Sohn?«
     »Ähm, wo Sie schon mal hier sind, Sodomit hin oder her, kann ich ein Autogramm haben?«
     »Aber sicher, mein Sohn.«
     Er gibt mir ein unterschriebenes Standbild aus El Dorado. Er und Robert Mitchum im Saloon. Mitchum fischt den Dollar aus dem Spucknapf.
     Er trinkt nochmal und starrt weiter aus dem Fenster.
     »Ich geh dann mal. Muss noch, ähm, Dings. Mich irgendwo beschweren.« sage ich unsicher.
     »Wo immer du auch hingehst, mein Sohn, du wirst auf meinem Land sein.«
     »Ja, ich weiß. Red River. Wiedersehen, Mr. Wayne.«
     »Goodbye, mein Junge, halt die Ohren steif.«
     Ich trete vor die Tür. Die Sonne geht unter, der Wind weht mir Sand ins Gesicht und das Knattern der Motorräder hört sich an wie Gewehrfeuer. Drinnen sehe ich wie John Wayne schweigend dem nahenden Abend zuprostet. Ja, es ist wahrhaft einsam hier draußen.
     Trotzdem gehe ich jetzt zur Telekom. Ich werde mich beschweren. Mal sehen wen die zu bieten haben.

© 2005 by Markus Linner (www.egomaschine.de). Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten.

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