 | Versuchte Nähe |
 | Volker Jehles belletristischer Erstling Ulrike erzählt von der zarten Liebesgeschichte eines Zivis und einer jungen Frau, die beide in einer Werkstatt für geistig Behinderte arbeiten — er als Betreuer, sie als Betreute. Das messerscharf beobachtete Buch entfaltet eine minutiöse Chronik der Annäherung, des verwirrten Verliebtseins und der schließlich notwendigen Ablösung. Tastend werden seelische wie körperliche Grenzen, die immer auch ethische sind, erkundet. Bei deren zeitweiliger Überschreitung drängt sich die Frage auf: Wo fängt in der Beziehung zwischen der geistig behinderten jungen Frau und dem gleichaltrigen normalen jungen Mann der Missbrauch an, wo die Liebe? Und was heißt überhaupt »normal«? Die Stärke der Erzählung liegt darin, die Verstörung, die sie fein dosiert auslöst, nicht mit falschem Sympathieschmalz oder einem wie auch immer gearteten Happyend zu entschärfen. Jehles zeitlupengenaue Prosa und nachgerade poetische Handhabung des Themas ohne jeglichen Weichzeichner nötigen Bewunderung ab. Mit Ulrike hat sich ein großes Talent zu Wort gemeldet. Ein Jahr später legt Jehle mit dem Band Größerer Dachschaden noch einmal kräftig nach. Diese Geschichten, allesamt Nachrichten aus dem beschädigten Leben, weisen den Autor erneut als Sprachartisten mit unbestechlichem Gespür für die Absurditäten des Alltags aus. Auf die Fortsetzung dieser Schriftstellerlaufbahn darf man gespannt sein. Jehle, Volker: Ulrike. Tübingen: Klöpfer & Meyer, 1996. 268 Seiten, DM 38. ISBN 3-931402-06-1. Jehle, Volker: Größerer Dachschaden und andere Beschädigungen: Sechs Geschichten. Tübingen: Klöpfer & Meyer, 1997. 163 Seiten, 34 DM/17,38 EUR (Preisangabe ohne Gewähr). ISBN 3-931402-24-X.
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