Foto von Ulrich Struve Luisenmythos
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve

Der Essayist Günter de Bruyn zeichnet in Preußens Luise - sein Beitrag zum zu Ende gehenden Preußenjahr - elegant, klarsichtig und mit leichter Feder Ursprung und Verblassen einer preußischen, später nationalen Legende nach. Die Verehrung und posthume Überhöhung der Königin Luise von Preußen, der ersten Regentin, die bürgerliche Tugenden auf dem Thron verkörperte, ist uns heute nicht mehr präsent. Das Sujet wirkt daher auf den ersten Blick leicht angestaubt. In den Händen de Bruyns wird daraus eine fesselnde Lektüre.
     Vorstufen der Legendenbildung zu Lebzeiten in Literatur, Kunst und populärer Wahrnehmung formen Anekdoten zu Luises sagenumwobener Anmut, Schönheit und Güte aus. Was folgt, ist die staatstragende Funktionalisierung der Frühverstorbenen.
     Auf Veranlassung des Witwers, König Friedrich Wilhelms III., beginnt kurz nach Luises Ableben im Jahre 1810 das staatlich geförderte Weiterstricken am Mythos. Luise wird zur »stillen Dulderin«, zur »Preußischen Madonna« stilisiert, die, als das Land unter der Knute Napoleons steht, aus Kummer um das Vaterland an »gebrochenem Herzen« stirbt; eine prosaische Lungenentzündung als Todesursache gibt da nur wenig her.
     Luises Tugenden werden passiv ausgedeutet und der weiblichen Jugend zur Nachahmung anempfohlen. Unzählige nach Königin Luise benannte Mädchenschulen werden in jenen Tagen eingeweiht, Luisenbrunnen und -häuser erbaut.
     In den Befreiungskriegen erfährt der Luisenmythos eine gewisse militaristische Einfärbung. Die Stiftung des Eisernen Kreuzes wird 1813 von Friedrich Wilhelm III. auf ihren Geburtstag rückdatiert. Der Blutsänger Theodor Körner bedichtet Luise als »Heiligenbild für den Gerechten Krieg«. Primär bestimmend bleiben jedoch Luises »Reinheit, Glanz und schuldloses Dulden«.
     Als Luises Sohn 1871 erster deutscher Kaiser wird, kann aus den Legenden um die Preußenkönigin noch einmal ein Ursprungsmythos für die Hohenzollern werden, der deutsche Treue und Tugend und die innere Reinheit, aus der das reichsgründende Kaiserhaus entsprungen ist, versinnbildlicht.
     Resümierend hält de Bruyn fest, dass man Mythen durchaus ihre Kraft nehmen kann, wenn man deren Funktion analysiert. Da es sich, so warnt er zugleich, bei Mythen - verblassten wie modernen - um sinngebende Erzählungen handelt, bleibe es letztlich illusorisch, ein vollkommen mythenfreies Leben führen zu wollen.

Ulrich Struve

Günter de Bruyn. Preußens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende. Berlin: Siedler Verlag, 2001. Gebunden, 142 Seiten, zahlreiche Abb. ISBN 3-88680-718-5. 28,00 DM/14,32 EUR (Preisangabe ohne Gewähr) 


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