Foto von Ulrich Struve Kaiserin von Ammerland
Notizen am Rande - Buchbesprechungen von Ulrich Struve Kadidja Wedekinds Kalumina ist die humorige Chronik eines Kaiserreichs der Kinder, das Ende der Zwanzigerjahre eine kurze Zeit in Ammerland am Starnberger See bestand. In ihrem mit wunderbar leichter Hand geschriebenen »Roman eines Sommers« erzählt die Autorin von der Gründung des Kaiserreiches Kalumina sowie der glücklichen Regierung der Kaiserin Carola I., einer Regentin, die autobiografische Züge mit Anklängen an Jean d'Arc und Napoleon Bonaparte vereint. Von der schriftlichen Niederlegung des Code Kalumina, von Fahnenweihe und feierlicher Krönung wird berichtet, vom Treueschwur der Untertanen und von Eifersüchteleien, die im jugendlichen Offizierskorps schwelen.
     Doch auch die heftigen Schlachten, die sich die kaluminäische Armee, bewaffnet mit Tannenzapfengranaten und Holzschwertern, am Fuchsberg mit den Kindern des Nachbarortes liefert, werden genüsslich ausgemalt. Mit viel Sinn für Fallhöhe wird das Schicksal des Husarenleutnants Otto nachgezeichnet. Als höchster Würdenträger des kaluminäischen Reiches ist Otto nicht allein Leutnant, sondern zugleich Kardinal-Erzbischof, Feldkoch und Adjutant Ihrer Majestät Carola I. Leider fällt er wegen Feigheit vor dem Feind (in diesem Fall die Hitzlerbäuerin und ihre Töchter, die den kleinen Rekruten Domini unterm großen Federbett versteckt halten) in Ungnade und wird in Acht und Bann getan. Dadurch erhalten nicht nur die revolutionären Umtriebe des Pressechefs Ufo Aufwind, es steht auch die Weihe eines neuen Bischofs an. Und so wird Leutnant Heinz, während das Grammophon »Ich bete an die Macht der Liebe« dudelt, »von der Kaiserin eigenhändig mit Salatöl gesalbt,« bevor der Sommer mit einem großen Seefest sein Ende findet.
     Kadidja Wedkind fängt in Kalumina auf spielerische Weise die Dramatik, das Abenteuer und die Luftigkeit sommerlich-kindlicher Fantasiespiele aus einer Zeit ein, als das Fernsehen noch nicht die dominante Form der Freizeitgestaltung war. Zwar nimmt Wedekind Kalumina Anfang der Dreißiger Jahre in Berlin, wo das Buch 1933 im Scherl-Verlag erscheint und 1935 eine zweite Auflage erlebt, als Brotarbeit in Angriff. Doch kommt dabei ein Kinderroman für junge und junggebliebene Menschen heraus, der das Erwachsenwerden einer jungen Frau, das Ende mehr als nur eines Kindheitssommers behutsam nachzeichnet.
     Der Herausgeber der Neuauflage, Dirk Heißerer, hat sich um die biografische Aufschlüsselung des Romans bemüht; die Freunde und Gäste der Familie Wedekind, die in Kalumina eine Rolle spielen, werden in einem Personenverzeichnis vorgestellt. Rezensionen der Erstauflage und Informationen zur geplanten, doch nie veröffentlichten Fortsetzung in Form eines Jugendromans, Der schwarze Prinz, ergänzen das dargebotene Material. Heißerers informatives Nachwort weist Verbindungslinien aus zwischen dem Werk der unlängst hochbetagt verstorbenen Autorin und Klaus Mann, George Bernard Shaw, Mark Twain und auch zum Werk ihres Vaters, dem Dramatiker Frank Wedekind.
     Mit acht Zeichnungen Kadidja Wedekinds und etlichen Fotos aus der Ammerländer Sommerfrische hat der Münchner Kirchheim-Verlag das Buch liebevoll ausgestattet und nach über sechzig Jahren erstmals wieder zugänglich gemacht. Das ist ein literaturhistorisch löbliches Unterfangen — und eine vergnügliche Lektüre. In der Erinnerung der damals Beteiligten und im Vergnüngen heutiger Leserinnen und Leser Kadidja Wedekinds lebt das Kinderkaiserreich fort, unbehelligt vom allerorten nagenden Zahn der Zeit. So bewahrheitet sich die von Carola I. einst ausgerufene Parole: »Kalumina aeterna!«

Ulrich Struve

Kadidja Wedekind: Kalumina: Der Roman eines Sommers. Hrsg. von Dirk Heißerer. München: P. Kirchheim, 1996. 38 DM/19,43 EUR (Preisangabe ohne Gewähr). ISBN 3-87410-071-5.


zurückAnfangweiter