DER SPIEGEL ist doof!!

Malte Bremer über die Angst der Deutschen vor der (Rechtschreib-)Freiheit

Nachtrag: Der doofe Spiegel jetzt auch noch oberpeinlich
Erwartungsgemäß beginnt der SPIEGEL mit Heft 42/2004 seinen Rückzug. Anders als die BILD-Zeitung, die seit dem 4. Oktober 2004 wieder zur alten Rechtschreibung zurückgekehrt ist (genauer: zu dem, was BILD für alte Rechtschreibung hält...), hat es der SPIEGEL auch in sage und schreibe 2 Monaten nicht geschafft, die angeblich fehlenden »technischen Voraussetzungen« zu schaffen, um statt »dass« endlich wieder »daß« schreiben zu können. Die Vergewaltigung ist nun keine mehr, man erklärt sie im Nachhinein für eine einvernehmliche Handlung: denn jetzt macht SPIEGEL seine dümmliche Drohung abhängig »von der Besetzung des Gremiums [Rat der Rechtschreibung] sowie vom Ablauf und Ergebnis der Beratungen«. Spannend: Was, wenn Besetzung ok., Ablauf ok., aber Ergebnis nicht? Oder alles ok. außer dem Ablauf?
     Oder nichts ok. außer dem Ergebnis? Der SPIEGEL lässt sich alle Wege offen, um erfolgreich die technischen Voraussetzungen nicht schaffen zu müssen! Immerhin erkennt der SPIEGEL - wohl unfreiwillig -, dass diese alberne Streiterei ein »bizarrer Disput« ist (Seite 32). Das ist das einzige vernünftige Wort vom SPIEGEL in dieser Angelegenheit.
     Ansonsten strotzt der Artikel von den üblichen Reform-Albernheiten diverser durchaus honoriger Schriftsteller: O-BER-PEIN-LICH!

Dass die BILD-Zeitung doof ist, ist schon lange bekannt und hinlänglich bewiesen. Jetzt schließen sich SPIEGEL und BILD zusammen und kämpfen gemeinsam gegen einen höchst nebulösen Popanz, der da heißt »Neue Rechtschreibung«. Oberstes Ziel ist es, das Deutsche Volk vor Vergewaltigung zu schützen: Sprache »ist Kern der Demokratie.« oberlehrert Stefan Aust, »Sie lässt sich nicht auf dem Verordnungswege vergewaltigen.« (Spiegel 33, vom 09.08.2004, Seite 5) Konsequenz? Man fordert die Rückkehr zur 1901 auf dem Verordnungswege vergewaltigten deutschen Sprache. Alte Vergewaltigungen sind nicht mehr schlimm, da weiß man doch, was man gehabt hat!
     Was soll dieses Sommertheater? Kein deutschsprachiger Mensch - ich wiederhole und betone: kein - hat die alte deutsche Rechtschreibung jemals beherrscht, auch die Lektoren nicht, die Texte korrigieren mussten und müssen von Schriftstellern wie Grass und Enzensberger, die sich jetzt weit aus der Gartenlaube lehnen und eine Rückkehr zur alten Rechtschreibung fordern, weil sie Verrat am deutschen Kulturgut wittern. Der Herr Grass verwahrt sich angeblich »vehement dagegen, dass seine Texte, gerade beim Abdruck in Schulbüchern, in der neuen Rechtschreibung veröffentlicht werden« (Spiegel 32, vom 02.08.2004., Seite 142f). Wäre ja auch schlimm, wenn in seinen Texten plötzlich von Delfinen und Spagettis zu lesen wäre, von Jogurts gar: das zerstört ja unwiederbringlich den Sinn seiner Werke! »Was eine Sprachgemeinschaft akzeptiert und was sie ablehnt, darüber entscheiden Millionen.« weiß Herr Enzensberger (ebd., Seite 143)! Genau: deshalb wird es in Zukunft wohl anderst heißen müssen statt anders, garnicht statt gar nicht, und die Konjunktion dass wird ganz aufgegeben, blickt ja eh kaum einer! Herr Walser erklärt laut Spiegel »barsch«: »Ich schreibe weiter, wie ich will.« Warum sagt er das denn so barsch?

Wer zwingt denn all diese Eiferer, bei Aldi einzukaufen oder bei Lidl? Wer zwingt sie denn, die BILD-Zeitung zu lesen oder den SPIEGEL? Wer zwingt sie denn, die neue Rechtschreibung zu verwenden? Na? Eben: NIEMAND! Aber das ist zu viel Freiheit, das zerrt und zehrt an den deutschpreußischen Zucht-und-Ordnungs-Nerven! Also her mit den alten Regeln, und gefälligst darf niemand mehr bei Aldi oder Lidl einkaufen, sondern alle müssen ausnahmslos zum Penny-Markt!

Jeder Mensch konnte schon immer und kann nach wie vor schreiben (wenn er es kann - siehe der neue Analphabetismus), wie er will - und tut es auch. Ausnahme sind nur die Anstalten des öffentlichen Rechts oder wie immer das heißt, also Ämter des Bundes und der Länder, z.B. Schulen. Und da - so beteuern uns die Lehrer aller Schularten - gibt es offensichtlich kaum Probleme, jedenfalls wesentlich weniger als mit den Regeln aus dem letzten Jahrtausend.
     Und Schriftsteller haben schon immer darauf bestanden, dass Texte so gedruckt werden, wie sie es wollten - das ist gut so! Oder möchte Enzensberger seine alten Gedichte plötzlich in alter Groß-Kleinschreibung lesen? Oder würde Walser sein schönes »Bonzrepublik« als »Bundesrepublik« bzw. »Bonzenrepublik« verballhornt haben? Sicher nicht - er hat auch das Selbstverständliche in Anspruch genommen, nämlich so zu schreiben, wie er will!
     Ganz besonders peinlich ist es, wenn die Gegner das tumbe Volk mit erfundenen oder bizarren Beispielen in Panik versetzen wollen! Da schnarrt Reich-Ranicki im SPIEGEL (nicht in der BILD-Zeitung!) vom wohl verdienten Nobelpreis für Grass, einer Schreibweise, die die neue Rechtschreibung gar nicht vorsieht, schließlich ist wohl kein Adjektiv - aber immerhin sagt dieses frei erfundene Beispiel Erhebliches aus über Reich-Ranickis Verhältnis zu Grass: das ist das Schöne an Freudschen Verschreibern … Die Rechtschreibspezis der SPIEGEL-Redaktion haben ihm diesen Unfug glatt durchgehen lassen (ebd., Seite 144)! Vorzüglich auch die Aufklärung durch die WAMS (Nr. 32 vom 08.08.2004, Seite 6): Sie will dem Leser weismachen, dass es nach der Rückkehr zur alten Rechtschreibung endlich wieder Papplakat hieße statt Pappplakat - tatsächlich aber musste schon seit 1901 immer Pappplakat geschrieben werden. Welch Erleichterung wäre es gewesen, ist dieses Wort doch eine entscheidender Bestandteil unseres täglichen Schriftverkehrs: leider werden wir trotz WAMS’ Dafürhalten darauf verzichten müssen, und wenn sie sich selbst ernst nimmt, wird auch sie trotz ihres revolutionären Rückschritts Pappplakat schreiben müssen. Die BILD-Zeitung war es (glaube ich), die Hoffnung geschürt hat, dass man nach der Rückkehr zur alten Rechtschreibung so schreckliche Trennungen wie Ruma-roma nicht mehr lesen müsste! Ich hatte dergleichen überhaupt noch nie gelesen, finde aber, dass das ungetrennte Wort auch nicht besser lesbar ist: Rumaroma; nach der neuen Rechtschreibung könnte man elegant Rum-Aroma schreiben, das müssten die Lehrer ihren Schülern aber als Fehler ankreiden, so wünschen es sich SPIEGEL und BILD. Wie aber ist es mit der Trennung Anal-phabet, die ja nach der alten Rechtschreibung völlig korrekt ist? Das soll besser sein? Der Duden empfiehlt seit jeher: Trennungen, die den Leseablauf stören oder den Wortsinn entstellen, sollte man vermeiden (Beispiel: bein-halten - darüber bin ich tatsächlich schon häufig gestolpert, vorzüglich in Druck-Erzeugnissen - man würde sonst automatisch Drucker-Zeugnis lesen - aller Art, da wird schließlich egalweg getrennt, sogar Ziffernfolgen - eine »Rückkehr« zur alten Rechtschreibung wäre in diesem Fall sogar ein ungeheurer Gewinn!).
     Sinnvolles Trennen funktioniert aber nur, wenn jemand lesen kann und den Sinn versteht: da sieht es z.B. bei einer Moderatorin vom drögen Dumpfbacken-Main-Stream-Event-Sender NDR 2 übel aus, die einen Herrn von der Dudenredaktion im Zuge des urdeutschen Sommertheaters frühmorgens allen Ernstes fragte, wie er denn das Wort Radioansage (oder war es -antenne?) trennte, und wohl darauf geierte, dass der Herr Radi-oansage äußern würde (weil man so nach der neuen Rechtschreibung trennen könnte), um ihm dann einen fachfraulichen Vortrag über Rechtschreibung zu halten - aber zu ihrem Leidwesen konnte der Befragte sehr wohl zwischen Radio und Ansage trennen.
     Meisterlich auch Alexander Eck von der eConnex AG: laut den Kieler Nachrichten vom 10.08.2004, Nr. 185, Seite 13 wurde in dieser Firma »die Notbremse gezogen«: »Wir verwenden ausschließlich die alte Rechtschreibung, sie bildet eine verlässliche Basis, die sowohl unsere Kunden als auch unsere Mitarbeiter verstehen.« - ist übrigens glatt gelogen, siehe die Homepage. Was ist eigentlich nicht zu verstehen nach der neuen Rechtschreibung? Wo liegt das Problem? Hier liegt das Problem: Dem Neue-Rechtschreibung-Spezialisten Eck stößt »allein schon das klein geschriebene sie laut neuer Rechtschreibung in Geschäftsbriefen« »sauer auf«: »Das ist doch keine Wertschätzung eines Kunden.« Man fasst es eigentlich nicht: die offenbar prinzipielle Rechtschreibe-Unfähigkeit eigener Mitarbeiter hinsichtlich der Anrede wird einfach der neuen Rechtschreibung angelastet … Und solche Menschen sollen über die Rechtschreibreform abstimmen? Da kann es einen nur gruseln!

Man darf gespannt sein: Wie etliche gute Vorsätze gerne lautstark angekündigt, aber nie durchgeführt werden - wer kennt sie nicht, die Raucher, die jeden Monat aufhören, und das schon seit Jahren? -, so haben SPIEGEL und SPRINGER ihr albernes Vorhaben zunächst ausposaunt, statt es einfach durchzuführen; angeblich müssen dazu erst noch »technische Voraussetzungen« geschaffen werden - offenbar fehlen irgendwelche alten Buchstaben oder die Redakteure müssen Schreibschulen besuchen oder die modernen Druckmaschinen verweigern ihren Dienst, wenn sie ein daß drucken sollen. Das kann dauern (siehe Nachtrag).
     Aber wenn es endlich so weit ist, bekommen Kinder schönes Übungsmaterial in die Hände: da können dann Siebtklässler per Rotstift feststellen, wie doof sich manche Erwachsene anstellen.

Malte Bremer
26.08.2004/Nachtrag vom 15.10.2004

Weiterführende Links zum Thema:
Im Cafe: »Die kulturelle Welt ist untergegangen« - Gero von Büttners Anmerkungen zur neuen Rechtschreibung aus dem Jahre 1998.
stern.de: »Geheimsache "ß"« - Jonannes Röhrig zeichnet in einem Beitrag für den Stern nach, wie Männerfreundschaften zu Bündnissen gegen die neue Rechtschreibung werden.


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