StartseiteAlmtraumFolge 93 vom 3. Juli 2007

Folge 93 vom 3. Juli 2007

Sie räumten den Tisch ab und spülten das Geschirr. Stefan versuchte sich zu erinnern, mit wem er zuletzt gemeinsame Tage auf der Hütte verbracht hatte. Hermann war es nicht, auch nicht die kleine Engländerin. Gelassener als sonst nahm er die Lücken in seinem Gedächtnis zur Kenntnis.

Als sie wieder am Tisch saßen, getrennt durch eine Flasche Rotwein, fragte Bettina, was er denn über die Alm und das Tal erzählen könne, sie sei neugierig wegen seiner Andeutung an der Kapelle.

»Ich bringe zuerst die Wie-komme-ich-zu-einer-Almhütte-Geschichte zu Ende. Wo hatten wir unterbrochen?«

»Sie haben mit Hermann die Bettstellen gezimmert.«

»Und die Wände im Schlafraum zur Wetterseite hin mit Profilholz verkleidet. Schauen Sie sich um.« Stefan fuhr mit dem Zeigefinger ein Ritze zwischen zwei Balken entlang. »Die Senner haben hier Moos und Stoffreste hineingestopft, damit es nicht zieht. Als wir einzogen, kam die Kälte zusätzlich von unten. Die alten Bohlen waren verzogen und an vielen Stellen gebrochen. Der Walln-Bauer hat im Schlafraum und in der Küche einen neuen Fußboden gelegt und für das Holz mehr Geld ausgegeben, als ihm die Pacht der ersten Jahre eingebracht hat. Ihm geht es aber nicht darum, Geld zu verdienen. Die Hütten verfallen, wenn sie nicht bewohnt und beheizt werden.«

»Wenn niemand die Wetterschäden repariert …«

»Dahinter steckt mehr als nur Vernachlässigung. Eine Hütte lebt, und für mich hat sie auch eine Seele. Lachen Sie mich jetzt aus?«

Bettina hob abwehrend die Hände. »Nein. Menschen verkümmern ebenfalls, wenn sie nicht in Gemeinschaft leben.«

Argwöhnisch schaute er sie an.

»Sind Sie anderer Meinung?«

Bevor Stefan verneinte, nahm er einen Schluck aus dem Rotweinglas. »Im vergangenen Jahr hat der Lugleitner das Dach und den Kamin erneuert. Auf die traditionelle Art, versteht sich.«

In die Pause, die er einlegte, sagte Bettina: »Sie wissen, dass ich es nicht weiß, also spannen Sie mich nicht auf die Folter.«

»Die neuen Dachschindeln wurden nach dem überlieferten Verfahren hergestellt. Eine Lärche wird zwischen Weihnachten und Neujahr gefällt und mit der Spitze nach unten in den Hang gelegt. Ein gefällter Baum, der …« Stefan lachte. »Bäumt sich halt ein letztes Mal auf, sagt man, und schickt seine ganze Kraft in die Zweige. Wenn im Frühjahr die Äste abgeschnitten werden, ist das Stammholz besonders hart und eignet sich hervorragend für die Schindeln.«

»Das Gefälle«, sagte Bettina.

»Mir ist die Überzeugung des Walln-Bauern sympathischer als die naturwissenschaftliche Erklärung.«