StartseiteAlmtraumFolge 8 vom 9. April 2007

Folge 8 vom 9. April 2007

Der Film gestern mit Ellen Barkin auf Kanal 7 schien mich nachhaltig beeindruckt zu haben. Die Handlung rankte sich um einen Frauengebraucher, Steve, er war in freudiger Erwartung eines Liebesspiels zu viert in der Luxuswanne halb ersäuft und dann erschossen worden, durfte aber nicht in die Ewigkeit abtreten und musste zur Bewährung als Frau zurück. Notgedrungen gab er sich als seine Halbschwester aus, Amanda Brooks; eine originelle Variante eines nicht mehr taufrischen Einfalls.

In meinem Kopf bildete sich urplötzlich ein klarer Gedankenstrom, von dem ich mich willig erfassen ließ. Man müsste die Stoffe weniger intellektuell angehen, mehr kolportieren und hemmungslos erfolgreiche Rezepte kopieren, überlegte ich. Niemand interessierte sich für ein Original, also würde ich ihnen Kopien liefern. Sie wollten es nicht anders, und obendrein passte es wunderbar in diese Welt, in der jede Begebenheit des Lebens mehrfach gewendet auf Bildschirmen und Leinwänden erscheint.

Ich griff zur Flasche, schraubte den Verschluss ab und versuchte, den Papierkorb neben meinem Schreibtisch zu treffen. Erfolgreich! In einem Zug trank ich den angewärmten Rest Aquavit. Hemmungslos. Mit der leeren Flasche in der Hand durchmaß ich mit großen Schritten das Zimmer. Mein Geist, meine Gedanken bekamen Flügel, und mit dieser altgedienten Metapher befand ich mich schon auf dem richtigen Weg. Jetzt brauchte ich nur noch den Einstieg zu finden. Kallweit, der Klempner, kam mir spontan in den Sinn. Olga, wo is der Trauschein? – Dat weisse doch, im Rahm hintam Hochzeitsbild! Hhm, wer die Satire von Kishon nicht kannte, würde meine Pointe nicht verstehen. Witze zu produzieren und einen Roman darum herum zu basteln, war wenig Erfolg versprechend.

Meine Wanderung endete vor dem Bücherregal. In einem Fach in Augenhöhe links standen dekorative Kleinigkeiten, in der Mitte die alte Schreibmaschine, Marke Triumph, die einst meiner Oma gehörte. Mit den Fingerspitzen fuhr ich die Konturen der silbrig umbördelten Tasten nach. Oma Käthe war aus der Sicht unserer Kinderaugen eine wundersame alte Frau gewesen. Damals waren wir davon überzeugt, Feen seien niemals jung und hübsch, sondern runzlig alt und gütig. Mit ihrer dunklen warmen Stimme erzählte sie uns Märchen, deren geheimnisvolle Begebenheiten aus der zittrigen Art des Vortrags zusätzliche Spannung bezogen. Später – es war nach ihrem Tod – stellte sich heraus, dass Oma das Wundersame zumeist aus gewöhnlichen Märchenbüchern bezogen hatte, wie alle anderen Omas auf dieser Welt, bis auf die Geschichte von dem kleinen Mädchen mit den blonden Haaren und den blauen Augen, dem auf einem Waldspaziergang ein Zwerg begegnet. Weil die Sonne sich schon neigte, nahm der Zwerg das Mädchen mit in seine unterirdische Behausung unter einer mächtigen Buche. Oma erzählte diese Geschichte in Fortsetzungen, und weil gute Geschichten nie aufhören sollten, drängten wir sie erwartungsvoll, sooft wir sie sahen. Oma, komm bald wieder, bettelten meine Schwester und ich zu jedem Abschied. Mutter seufzte, sah Vater an und meinte, sie könnten nächste Woche wieder einmal ins Kino gehen. Vater machte dann ein gutmütiges Gesicht, strich uns über die Köpfe und sagte etwas über Leidenschaft, was wir nicht verstanden.

Als Oma starb und ich ihre Märchenbücher erbte, war ich acht Jahre alt. Zu meiner Enttäuschung fand ich die Zwergengeschichte, wie wir sie nannten, nicht in den Büchern. Meine Mutter tröstete mich. Oma hatte das Märchen für sie auf der Schreibmaschine verfasst und ihr schon als Kind erzählt. Oma wäre gerne Kinderbuchautorin geworden.