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StartseiteAlmtraumFolge 73 vom 13. Juni 2007

Folge 73 vom 13. Juni 2007

Draußen quietschte ein Fensterladen in der Angel. Tageslicht fiel durch ein Fenster, in dem dünne Stege die Scheiben in vier Teile teilten, jedes kaum größer als ein Rasierspiegel. Gleich darauf öffneten sich auch die anderen Fensterläden und erhellten eine alpine Puppenstube mit rot-weiß karierten Übergardinen und aufgeschichteten Wänden aus vierkantig behauenen Baumstämmen. Hinter der offenen Tür stand ein grün gekachelter Ofen auf einem gemauerten Podest, davor ein Holzbottich als Vorratsbehälter für das Brennholz.

In der Küche zischte und sprudelte das Wasser. Bettina goss es in die Schüssel, mischte kaltes Wasser aus der Gießkanne zu und prüfte mit den Fingerspitzen die Temperatur. Dann trug sie die Schüssel an ihren Sitzplatz. Bevor sie den Rock hob und die zerrissene Strumpfhose herunterrollte, beobachtete sie für einen Augenblick die Tür.

Stefan brauchte einige Gänge, um die Vorräte in die Hütte zu holen. Zwischendurch versorgte er den Herd. Im Stall verstaute er die verderblichen und offen verpackten Lebensmittel als Schutz vor Siebenschläfern und anderen Mitbewohnern in einen mit Fliegendraht bespannten Schrank. Die Konserven und Getränke packte er in den Futtertrog für die Kühe neben das gestapelte Brennholz. Den Speiseplan heftete er an die Stalltür, wie immer als sichtbares Zeichen, dass er angekommen war. Die Wäsche räumte er in die Schubfächer unter dem Bettgestell im Schlafraum.

Himmel, die Lektorin, dachte er, die hatte er völlig vergessen.

Der Fußboden des Wohnraums knarrte beim Eintreten. »Das sind noch die ersten Bohlen«, erklärte er. »Hinter der Schwelle gibt es eine ausgetretene Stelle, da kann man sich leicht den Fuß vertreten. – Warten Sie. Ich hole Ihnen ein Handtuch.

»Sie sind sehr besorgt um mich«, sagte Bettina, als er ihr das Handtuch reichte. Ihre Stimme vibrierte leicht im Bemühen um einen ruhigen Tonfall. Sie trocknete die Füße und zog die Schuhe an. Auf dem braunem Leder verliefen von der Sohle aus dunkle Flecken.

»Langsam wird es warm«, sagte er zufrieden. »Sie sollten das schmutzige Kostüm ausziehen. Ich habe saubere Sachen für Sie.«

Sie erhob sich und er glaubte, sie sei nun endlich vernünftig geworden. Statt dessen hieb sie wütend mit Fäusten auf ihn ein. Schützend hob er die Arme und duckte den Kopf zu Seite. Ein Schlag traf sein Pflaster hinter dem Ohr und verursachte einen dumpfen Schmerz. Er schrie auf.

Bettina hielt jäh inne.

Er tastete hinter dem Ohr. »Auch das noch«, sagte er und betrachtete seine blutverschmierten Finger. »Das Loch ist wieder offen.«

»Ich wollte Sie nicht verletzen.«

»Wie nett von Ihnen! Waren das symbolische Prügel?«

»Sparen Sie sich Ihren Hohn, oder ist die Entführung auch symbolisch? Lediglich ein Versehen? Verkehrt herum in eine Einbahnstraße gefahren. Das kann jedem einmal passieren, nicht wahr?«

Stefan presste ein Taschentuch an den Kopf. »Im oberen Schubfach der Kommode hinter mir ist ein Verbandskasten. Bitte.«

»Zeigen Sie mal.« Bettina zog vorsichtig die Haare auseinander. Ein Ruck, dann war das blutgetränkte Pflaster weg.

»Seien Sie doch vorsichtig«, schimpfte er.

»Das müsste wohl genäht werden. Bis dahin tun es Mull und Leukoplast. Haben Sie so etwas hier oben? Sobald es das Wetter zulässt, fahren wir zum Arzt und dann zur Polizei.« Sie holte den Verbandskasten und versorgte die Wunde.

»Danke«, sagte er. »Wir warten die Heilung ab und sie schreiben unterdessen an meinem Roman.«

»An Ihrem Roman? Sie haben kein Loch im Kopf, sondern einen Dachschaden.« Sie rückte das rot-weiß karierte Sitzkissen zurecht und setzte sich rittlings auf die Holzbank, bückte sich nach dem unter dem Tisch liegenden Schlafsack und legte ihn sich um die Schultern. Unvermittelt brüllte sie: »Scheißkerl!«, und schlug mit der Faust heftig auf den Tisch.

Stefan zuckte und hielt sich instinktiv den Kopf.

»Keine Wiederholungen«, sagte er. »Wir sollten uns um originellere Dialoge bemühen.« Er legte den Verbandskasten zurück in die Kommode. »Und zunächst auf den Schreck anstoßen. Das beruhigt die Nerven.«