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StartseiteAlmtraumFolge 68 vom 8. Juni 2007

Folge 68 vom 8. Juni 2007

Die Kälte weckte Stefan. Durch die Ritzen des Verschlages fiel Tageslicht. Die Armbanduhr zeigte, dass acht Uhr vorbei war und er demnach vier Stunden geschlafen hatte. Ungelenk stieg er aus dem Wagen und reckte sich. Die Luft war immer noch empfindlich kalt und auch der Niederschlag hatte nicht aufgehört. Draußen lag ein durchsichtiger, grüner Hauch von Schnee.

Sie befanden sich unmittelbar an der Schneefallgrenze. Den Berg hinauf verdichtete sich das Grün zu Weiß bis hin zu den grauen Schleiern der talwärts ziehenden Wolken. Im Schutz des Schuppens beobachtete Stefan die immer dichter fallenden schweren Flocken. In wenigen Minuten verschwand die Wiese unter einer Schneedecke, die sich schnell weiter ausbreitete.

Er ging zum Wagen zurück, holte die Jacke vom Rücksitz und zog sie über. Bettina atmete gleichmäßig, sie hielt ihre Hälfte der Decke mit einer Hand fest am Kinn. Vorsichtig rüttelte er sie an der Schulter. Irgendwann musste es sein, und da war jeder Moment so gut wie der andere. Er rüttelte heftiger und gab ihr einen leichten Klaps auf die Wange.

Bettina öffnete die Augen. Stefan konnte verfolgen, wie sie sich von weit her mit Leben füllten.

»Wer sind Sie?«

»Ich bin der Taxifahrer.«

Sie drehte den Kopf. »Wo bin ich?«

»Bei mir.«

»Das ist doch nicht das Taxi, oder?«

»Nein. Das ist mein Wagen.«

»Und wo steht Ihr Wagen?« fragte Bettina gereizt.

»Auf fünfzehnhundert Metern, aufgerundet.«

Sie setzte sich kerzengerade auf. »Was machen wir hier?« Mit den Fingerspitzen massierte sie Stirn und Schläfen. »In meinem Kopf ist alles so weich … es geht auf und ab, wie auf einem Trampolin … Puhh!« Sie bewegte den Kopf kreisend und hob und senkte die Schultern.

»Verspannt«, kommentierte Stefan. »Die Rückenlehne lässt sich nicht weiter nach hinten verstellen.«

Abrupt hielt Bettina inne. Ihr Blick blieb an der Uhr des Armaturenbretts hängen. »Acht Uhr durch. Ich habe fest geschlafen … Sie … «

Stefan konnte die Erkenntnis in ihrem Gesicht lesen.

»Was haben Sie mir in das Mineralwasser getan?« Ihre Stimme gewann an Klarheit und Schärfe.

»Schlaftabletten. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

»Keine Sorgen? Sie haben mich betäubt!« Bettina stockte, öffnete den Mund, und dann platzte sie heraus: »Ist das eine Entführung oder was?«

»So ähnlich.« Stefan klang nicht sehr überzeugend.

Sie schloss die Augen und lehnte sich in den Sitz zurück.

»Sind Sie in Ordnung?« fragte er nach einer Weile.

»Sie haben mich verwechselt, ich bin nicht die Braut, und jetzt ist es Ihnen irrsinnig peinlich.«

»Sie sind Bettina Kracht und ich möchte Sie nicht heiraten. Ich möchte einen Roman von Ihnen.«

»Uuaaah!« Bettina warf die Decke gegen die Scheibe, riss die Autotür auf und sprang aus dem Wagen. Ihr rechter Fuß verhedderte sich in der Decke und sie musste sich an den Türrahmen festklammern, um nicht zu stürzen. Sie rannte aus dem Schuppen ins Freie.

»Himmel!« rief sie. »Es schneit! Im Juni!« Sie schien beeindruckt und rührte sich nicht vom Fleck, erst als sie den Schnee von den Schultern und aus den Haaren schütteln musste, kam sie zurück. Widerspruchslos nahm sie die Decke, die Stefan ihr umlegte.

»Ich träume«, flüsterte sie. Laut rief sie: »Taxi!«

»Bin schon da, Madam.«

Sie fuhr herum und funkelte ihn mit zornigem Blick an.

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