StartseiteAlmtraumFolge 63 vom 3. Juni 2007

Folge 63 vom 3. Juni 2007

Um 18 Uhr übernahm Stefan bei Moosbauer die letzte Schicht dieser Woche. Am Wochenende fuhr er abends und nachts nicht den Flughafendienst, sondern in der Stadt, Reisende, Theaterbesucher, Leute, die zu Feiern unterwegs waren, später Geschäftsleute in Bars, Biergartenbesucher. Wo kann man sich denn hier amüsieren? Fahren sie mich mal in den … na, Sie wissen schon… In den Stunden nach Mitternacht umgekehrte Fahrtrichtung: Geschäftsleute aus Bars, aus na, Sie wissen schon, und Biergartenbesucher nach Hause. Die komplette Skala von Null bis zwei Komma vier Promille. Moment, i hob noch net zoahlt … ich muss noch mal auf die Toilette … zehn Minuten Wartezeit für eine Fuhre von manchmal nur fünf Minuten, in einem von zehn Fällen noch einmal fünf Minuten zum Aufwecken, der Streit um das Fahrgeld – siebzehn achtzig? Hab’ doch sonst immer nur sechs Euro bezahlt, die Information an die Zentrale, Anruf bei der Polizei …

Stefan fühlte sich unbehaglich. Er dachte an besoffene und fettleibige Männer, die sich junge Körper kauften und deren Benutzung er ihnen nicht gönnte. Nicht, weil er sie selbst begehrte. Bin ich Feminist? fragte er sich. Nein, ganz sicher rührte seine Einstellung nicht aus dem Umstand, dass seine Garderobe derzeit zu Gast in Stefanies Kleiderschrank war.

Der Funk teilte ihm einen Fahrauftrag aus dem Hotel Astoria zu, ein paar Querstraßen weiter. Eine nette ältere Frau stieg ins Taxi, die in die Oper wollte und dafür extra von Augsburg angereist war. Eigentlich wollte ihr Sohn sie begleiten, erzählte sie schon auf den ersten hundert Metern, dann hätte sie sich die Hotelübernachtung sparen können. Aber der Beruf ließ ihm keine Zeit. Ihr Sohn war Diplom-Ingenieur und in der Baubranche tätig.

»Ein Baumeister«, flachste Stefan und dachte an Sepp Daschlgruber aus Rosenheim, der in späteren Jahren zum Literaturphantom avancierte.

»Ein Bauleiter«, sagte die Frau, nicht ohne Stolz in der Stimme. Sie gab ihm ein anständiges Trinkgeld und dankte für das nette Gespräch.

Danach fuhr er zwei Kunden. Auf dem Rückweg zu seinem Stammplatz schaltete er den Funk wieder ein.

Parzival 17 Herrnberger 2. Etage.

Franz-Ferdinand 48 Verlagshaus Weigold, Franz-Ferdinand 48 Verlagshaus Weigold, plärrte der Lautsprecher.

Stefan bremste heftig vor einer roten Ampel. Weigold!

»Zwei-fünfzehn«, meldete er sich. »Wagen zwei-fünfzehn«, wiederholte er. »Ich übernehme Franz-Ferdinand 48 – bin gleich um die Ecke.«

»In Ordnung, zwei-fünfzehn. Verlagshaus Weigold, am Haupteingang beim Pförtner melden.«

»Danke.«

Stefan fuhr die Strecke bis zur Franz-Ferdinand-Straße in weniger als den zehn Minuten, die er bei Einhaltung der Straßenverkehrsordnung benötigt hätte.