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StartseiteAlmtraumFolge 56 vom 27. Mai 2007

Folge 56 vom 27. Mai 2007

Stefan langweilte sich noch eine Viertelstunde, wäre beinahe mit dem Kopf an der Wand eingeschlafen, bis er aufgerufen und in ein Sprechzimmer gebeten wurde.

»Dr. Römer«, stellte sich der Arzt vor. »Herr Bruhks, es hat sich kein weiterer Befund ergeben.« Der Arzt ging zu einer beleuchteten Tafel. »Hier ungefähr ist die Wunde«, deutete er mit dem Kugelschreiber auf eine Stelle.

Stefan konnte im Schwarz nichts erkennen.

»Der Dickschädel hat den Aufprall gut überstanden.«

»Dann ist ja alles in Ordnung.«

»Ein Mann wie Sie fällt nicht ohne Grund um.« Dr. Römer setzte sich an seinen Schreibtisch. »Haben Sie einen Hausarzt?«

»Dr. Brinkmann.«

Der Arzt schaute von den Unterlagen hoch. »Die Gynäkologin?«

In Stefans Kopf pochte es. Offensichtlich brachte er etwas durcheinander. »Konzentrationsschwächen. Ich bin zur Zeit ziemlich abgespannt, verstehen Sie?«

»Haben Sie darüber schon mit Frau Dr. Brinkmann gesprochen?«

Stefan knetete seine Finger. »Ich – weiß es nicht – so genau. Nicht seit Samstag, das kann ich beschwören.«

»Was war Samstag?«

Das Pochen in Stefans Schläfen schwoll an. Dazu gesellten sich kleine dunkle Pünktchen, die vor seinen Augen einen unruhigen Tanz aufführten. »Ich weiß nicht, wer ich bin!« platzte er heraus.

»Sie meinen, sie leiden unter Amnesie?« fragte der Arzt. Er prüfte die Unterlagen. »Zeigen Sie mal Ihren Ausweis«, bat er dann.

Stefan holte das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und zog den Ausweis heraus. Der Arzt verglich das Bild. »Das sind Sie, kein Zweifel. Hier steht: Stefan Bruhks. Sie wohnen in der Gottfried-Keller-Straße. Dreizehn. Ist das richtig?«

In Stefans Kopf dröhnte es. Er schlug die Handflächen gegen die Schläfen. »Wenn es da steht …«

»Sie erinnern sich nicht an Ihre Anschrift?«

Stefan konnte den durchdringend musternden Blick des Arztes nicht ertragen. »Ich möchte jetzt nach Hause.« Wenn er seinem Personalausweis glauben durfte – und der war schließlich von einer deutschen Behörde ausgestellt – wohnte er in der Gottfried-Keller-Straße 13. Wenn er seiner Nachbarin glauben durfte, lebte dort nicht er, sondern seine angebliche Schwester, von deren Existenz er keinen blassen Schimmer hatte. Die von Dr. Römer angedeutete Amnesie war plausibel bis auf die Quälseele Alfred, die nicht ins Krankheitsbild passen wollte.

Der Arzt holte Stefan an der Tür ein. »Ich darf Sie nicht so gehen lassen.«

»Sie haben doch selbst festgestellt, dass es keinen Befund gibt. Das Loch im Kopf ist harmlos. Ich kenne mindestens zwei Menschen, die Auskunft über mich geben können.«

»Wie Sie meinen. Gegen Ihren Willen lässt sich kein Licht in das Dunkel bringen.« Der Arzt reichte Stefan die Hand. »Ich schlage vor, Sie warten eine Woche. Wenn Sie bis dahin nicht klar sehen, kommen Sie zu mir.«

»Danke, Herr Doktor«, sagte Stefan und drückte die Hand des Arztes in dem guten Gefühl, für den Notfall gerüstet zu sein, aber ohne die Absicht, es jemals soweit kommen zu lassen.

Vor der Wohnungstür verweilte er einen Augenblick. Angesichts der drohenden Nähe von Berta Böttcher verschob er den Besuch mit der Überlegung, dass er eine alleinstehende Frau, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen muss, in der Mittagszeit ohnehin nicht antreffen würde.