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Am Vormittag ging Stefan zu Bogner. Dort traf er eine ältere Verkäuferin an, von der er nicht wusste, ob sie ihn kannte und seinen Namen bei einer Bestellung ohne Nachfragen aufschreiben würde. Enttäuscht machte er sich auf den Weg zur Sparkasse. Er wagte nicht daran zu denken, was dort auf ihn zukommen konnte; allein schon der Gedanke löste Erwartungsängste aus.
Vom Ägidiusplatz bis zur Sparkasse waren es zwanzig Minuten zu Fuß, nicht sehr viel Zeit, um im Kopf an den ungelösten Fragen seines Lebens zu arbeiten. Apropos arbeiten: Heute war Dienstag, er war gesund und konnte nicht sagen, welchem Broterwerb er nachging. Solche Gedächtnislücken bereiteten ihm Sorge. Die Romane in seinem Computer und der Hefter mit den Absagen waren kein Beweis. Auch erfolglose Schriftsteller müssen arbeiten, um zu leben.
In der Filiale der Sparkasse schob er die Scheckkarte in den Kontostandsdrucker. Seine Unruhe wurde nicht lang auf die Folter gespannt: 433,78 Euro betrug sein Guthaben. Der Auszug enthielt neben dieser nackten Zahl die Lastschrift aus dem Einkauf bei R&C, ansonsten keine Umsätze, die ihm Aufschlüsse über sein Leben liefern konnten. Vor dem Geldautomaten überlegte er eine Weile, ging dann zum Kassenschalter und ließ sich die Hunderter auszahlen.
Auf der Straße nervten ihn die Geräusche der unaufhörlich vorbeifahrenden Autos. In dieser Stadt gab es keinen Ort mit wirklicher Stille. Spätestens Freitag würde er in die Berge fahren, wenn sich nicht bis dahin hoffnungsvolle Aspekte in der Entdeckung seines Selbst eingestellt hatten, die wichtiger waren als die erholsame Ruhe der Bergwelt.
Das penetrante Hupen eines langsam vorbeifahrenden Taxis steigerte seine Aggressionen. Bevor er eine lautstarke Bemerkung loswerden konnte, rief ihn der Taxifahrer aus dem geöffneten Fenster an.
»Du fauler Sack, wo bist du abgeblieben? Moosbauer hat nach dir telefoniert, dich aber nicht erreicht. Er hat jetzt zweimal Pech gehabt mit Studenten und will unbedingt einen zuverlässigen Fahrer. Er lässt sogar einen Wagen stehen.«
»Kennst du mich?« fragte Stefan verblüfft und blieb stehen.
»Der Dichter spinnt, wie immer«, lachte der Taxifahrer und wies in Richtung auf das Taxameter. »Ich hab’en Fahrgast. Lass dich beim Alten sehen.« Die Scheibe glitt hoch und das Taxi beschleunigte.
Ein erfolgloser Schriftsteller, der sich seine Brötchen als Taxifahrer verdient, ergab einen Sinn und passte gut zu dem soeben abgefragten Kontostand. Der Anrede Dichterhätte es nicht mehr bedurft. Verwirrung stifteten die anderen Dinge, an die er sich nicht erinnern konnte.
Stefan schloss die Augen.
Moosbauer? – Nie gehört.
Die Bücher in der obersten Reihe links im Regal? – Charles Dickens, Edgar Allan Poe, Daniel Defoe, Nachschlagewerke zu Geschichte und Zeitgeschehen.
Der zweite Test zählte nicht, denn in der Wohnung seiner Schwester kannte er sich aus, nur nicht in seiner eigenen. Er zog das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und klappte es hastig auf, zerrte der Personalausweis heraus und las die Anschrift. Die Wohnung – das war seine Anschrift, seineWohnung, und die Nachbarin kannte ihn nicht …
Die Kante des Bürgersteigs kippte seitlich weg.