Das Kellergewölbe wurde durch eine Vielzahl von zehnarmigen Kandelabern erleuchtet. Luftzug brach die Lichtschatten in den gespiegelten Wänden ringsum. Gundula stand dicht an das Literaturphantom gedrängt, das Gesicht leidenschaftlich zu ihm aufgerichtet. »Komm, ich will dich publizieren«, flüsterte sie Erik zu und liebkoste den Entsetzten zwischen Hals und Hemdkragen, dass ihm die Luft knapp wurde.
»Amanda! Hilf mir!« Die Stimme des Phantoms klang nun leiser und flehender, weniger volltönend.
Schwere Schläge hallten gegen die Wand. Die Bilder in den Spiegeln zitterten.
»Sieh mich an, ich bin deine Amanda«, flüsterte Gundula. »Du schreibst nur noch für mich, ja?« Sie hielt Erik mit eisernem Griff im Nacken und küsste ihn. »Schreib mich voll«, bat sie, während er Luft holte. »Ich will deine Adjektive – zärtlich, weich, lustvoll, hart, hingebungsvoll, sanft, sinnlich; ich will deine Präsens-Partizipien – liebend, stoßend, stöhnend, drängend, quälend, wimmernd.« Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch.
Glas splitterte. In der Wand dahinter lief ein Riss durch die Steine und verzweigte in Mörtelfugen.
»Erik!« flehte Gundula. »Wenn du es anders willst – dann bin ich dein Text, ja? Ich lass mich von dir rezensieren – zerreiß mich …«
»Absagen«, stöhnte Erik, »die vielen Absagen!« Seine Hand, immer noch in Gundulas Griff gefangen, fuhr Achterbahn über ihren Leib, dazwischen der dünne, enthüllende Stoff.
»Nein! Schreib mich um, schreib ein neues, aufregendes Kapitel«, bat sie.
Mauersteine polterten auf den Boden, ein Staubpilz stieg hoch und zerfiel schwebend nach allen Seiten. Erik nutzte den Moment und riss sich von Gundula los. Hilflos zeigten ihre Arme auf den Wandschirm, hinter dem er verschwunden war.
»Hier muss noch eine geheime Tür sein!«, rief Rickerd und klopfte die Mauer hinter dem Wandschirm ab.
Misanschki hielt Gundula im Arm und streichelte durch ihr Haar. »Alles wird gut, ich bin da, Amanda«, flüsterte er.
»Hier ist sie!« rief Rickerd triumphierend. »Gib mir das Stemmeisen!«
Misanschki warf das Werkzeug achtlos in die Richtung des Wandschirmes. Seine Augen ruhten in tiefblauen Seen.
Draußen bog von der Hauptstraße ein Polizeiwagen mit hoher Geschwindigkeit in die Einfahrt zum Verlagshaus. Der rechte Vorderreifen prallte auf den wie vergessen in der Einfahrt liegenden Kanaldeckel und schlug in die Öffnung dahinter. Mit gebrochener Achse blieb das Polizeifahrzeug im Hof liegen.
Eriks Körper baumelte im kreisrunden Schacht, die Hände über den Rand fest in das Gitter des Kanaldeckels gekrallt.
Stunden später wurde Amanda von Suchtrupps in der Kanalisation gefunden. Sie saß durchnässt an der Ecke zu einem Seitenkanal, aus dem sich ein dunkler Strahl in den Abwasserstrom zu ihren Füßen ergoss, und rezitierte mit monotoner Stimme aus einem Buch von Gaston Leroux.