StartseiteAlmtraumFolge 44 vom 15. Mai 2007

Folge 44 vom 15. Mai 2007

Berta zupfte die Träger ihres Kleides nach oben. »Haben Sie das wegen mir gemacht?«

»Theaterdonner.« Stefan lachte. »Der Text ist im Computer gespeichert.«

Sie lächelte andeutungsweise zurück. Nur einen kleinen Zipfel liftete sie, gerade soweit, dass unter ihm ein Stück Freundlichkeit entwischen konnte. »Auch die Schicksale im Fernsehen wiederholen sich. Entweder sind die Männer brutal oder kriminell oder alkoholkrank oder krankhaft eifersüchtig. Eine Mutter kämpft um ihr Kind, eine Frau um ihr Leben. Trotzdem …« Sie stockte.

»Offensichtlich fällt dem Leben nichts Neues mehr ein. Mir geht es nicht besser. Ich halte meine Einfälle so lange für jungfräulich, bis sie mir woanders begegnen als in meinem Kopf; ich lese ein Buch, sehe einen Film – schon ist die Idee eines anderen registriert, ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Später, irgendwann, schleichen sie sich geschickt verkleidet aus dem entlegenen Winkel, in den sie die Zeit gedrängt hat, in meine Texte. Einige erwische ich, aber nicht alle. Das ist nicht weiter tragisch, allen Schreibenden ergeht es so.«

Stefans Gedanken schweiften ab. Für jemanden, der erst seit drei Tagen weiß, dass er Schriftsteller ist, äußerte er sich erstaunlich bewandert. Alfred war ihm zu dieser Seite seines Ichs noch einige Auskünfte schuldig.

»Kannten Sie meine Schwester gut?«

Berta leerte das Glas und stellte es auf dem Couchtisch ab. »Wir haben uns nur unterhalten, wenn wir uns zufällig trafen. Sie war nicht besonders zugänglich, aber pervers ist sie bestimmt nicht.«

»Damit meinen Sie mich, nicht wahr? Der eigentliche Grund Ihres Kommens sind unsere Begegnungen, im Treppenhaus und bei R&C.«

Sie ist eine verbitterte Frau, die erkannt hat, dass das Leben in großen Schritten an ihr vorbeigeht.

»Sie sind eine neugierige Person«, sagte Stefan. »Mit den gefühlvollen Worten meiner Schwester können Sie mich nicht täuschen.«

Berta sprang auf und sah ihn empört an.

»Schicken Sie mir jetzt ihren Mann zum Duell?« Stefan lachte provozierend und erhob sich ebenfalls.

»Mann? Gott. Wozu könnte ich einen Mann gebrauchen? Etwa ein Exemplar von Ihrer Sorte, das nicht weiß, ob es Männlein oder Weiblein ist?«

»Sie haben soeben einen interessanten Gedanken aufgeworfen – die Frage, ob Schriftsteller ein eigenständiges Geschlecht begründen.«

Berta schaute ihn verständnislos an.

»Ich will es Ihnen erklären.« Stefan legte seine Hände auf ihre Schultern. Sie zuckte, protestierte aber nicht und ließ sich von ihm in den Sessel drücken. »Ein Schriftsteller ist eins mit seinen Figuren, ob sie Mann sind oder Frau. Ein Beispiel: Frauen schwängern, haben Sie eben gesagt. Ob beschreiben kann, wie Sie geschwängert werden? Oder können Sie es besser, weil Sie den Vorgang als Frau empfinden?«

Berta legte ihre rechte Hand schützend über den Ausschnitt des Kleides.

»Keine Sorge, das überlasse ich einem anderem.«

»Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie reden!«, fauchte Berta. »Jetzt, in Ihren Hosen, sind Sie einer wie alle Männer, nur glauben Sie Bescheid zu wissen, weil Sie in Frauenkleidern herumgelaufen sind. In Wirklichkeit wollten Sie doch nur Ihren Spaß, harmlose Menschen hinters Licht führen. Das nennen Sie Feingefühl und rechtfertigen sich damit, dass Sie Schriftsteller sind. Wissen Sie, was Feingefühl und Spaß bei Männern gemeinsam haben?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Sie enden gemeinsam. Wenn der Spaß vorbei ist, hört die Feinfühligkeit auf. Das war’s dann, war nett, also bis demnächst – vielleicht im nächsten Jahr einmal.«