StartseiteAlmtraumFolge 13 vom 14. April 2007

Folge 13 vom 14. April 2007

Drei Tage strafte ich die Maschine mit Missachtung und schaute im Vorbeigehen über sie hinweg. Meine Einfälle notierte ich unterdessen auf allem, was ich gerade zur Hand hatte – Zeitungsränder, Quittungsrückseiten, Notizzettel. Die Notizen ließ ich dort liegen, wo ich sie verfasst hatte, ohne mir die Mühe zu machen, sie thematisch zu ordnen; ich vertraute darauf, dass ich das Chaos schon beherrschen würde. Ich hätte den Zettelkasten benutzen können, den ich mir zu Beginn meiner Laufbahn angeschafft hatte, doch den missbrauchte ich längst in der Küche zur Aufbewahrung von Gewürzen in Tüten und Gläschen, des Vanillezuckers und dem Rumaroma vom Königskuchen, den ich meiner Mutter zur Erinnerung an manches kindliche Teigausschlecken zum Geburtstag gebacken hatte, für Zimtstangen und einen Zuckerhut für die nächste Feuerzangenbowle. Pia war gegen Feuerzangenbowle. Wegen der Figur, wie sie sagte, was ich ihr nicht glaubte; tatsächlich befürchtete sie wohl, wir könnten am Ende selig trunken mehr als nur Erinnerungen an Schülerstreiche austauschen.

Am dritten Abend wurde ich nervös und schlecht gelaunt. Ich bestrafte mich für die Anleihe bei Kafka, indem ich den von Pia geschenkten Erzählband las, wobei ich mich von einem schwarzen Gesicht beobachtet fühlte, einem Gesicht mit rundlichen Ohren und offenem Mund, aus dem vier Reihen silbrig eingefasster Zähne lachten: Ich fresse jeden Text.

Vergeblich deckte ich die Schreibmaschine mit einer Zeitung ab, das Bild der grinsenden vier Zahnreihen war schon fest in meinem Kopf. Früher als sonst ging ich ins Bett, mit dem zweifelhaften Erfolg, mich dort unversehens in Betrachtungen über die Misere mit Pia wiederzufinden. Am Montag war ich in die Szenegegangen, um die Kontroverse mit ihr beizulegen. Sie war beschäftigt und unnahbar. Diesen nachtragenden Wesenszug kannte ich nicht an ihr. Verärgert machte ich mich nach einer Stunde von dannen, ohne zu bezahlen. Ärger und Enttäuschung sind keine guten Voraussetzungen zum Einschlafen. Ich grübelte, gab Pia den Laufpass, versöhnte mich mit ihr und liebte sie, um sie zu guter Letzt endgültig zu verstoßen.

Ich schlief unruhig und flach, auch wenn durch das geöffnete Fenster zum Hof die Geräusche nur gedämpft in das Zimmer drangen. In diesem Jahr kamen die schwülwarmen Nächte früher als sonst. Meine Gedanken schalteten nicht ab, und ich fand mich bei jedem Aufwachen im Manuskript vor dem Schlafzimmerschrank wieder, wälzte mich von einer Seite auf die andere und wendete die Bettdecke auf die vermeintlich kühlere Seite. Irgendwann hörte ich, wie ganz in der Nähe ein Fenster geöffnet wurde. Eine ruhige Melodie flog leise zu mir herüber, gespielt von einem Piano, zu dem sich bei den Wiederholungen des Themas eine Klarinette gesellte. Ich hörte ein drittes Instrument heraus, Violinen, die dem Piano Volumen und Klangfarbe verliehen, sobald die Klarinette verstummte. Entspannt schloss ich die Augen.

Am nächsten Tag war alles unverändert. Ich mied nicht nur die Schreibmaschine, sondern das gesamte Wohnzimmer. Was ich als Boykott beschloss, führte ich wie einen geordneten Rückzug durch. Mit reichlich Lesestoff und Papier setzte mich in die Küche und legte den Bleistift griffbereit.

Draußen war es heiß und die Luft in der Wohnung stickig. Gestern hatte ich vergessen, tagsüber das Rollo gegen die einfallende Hitze herunter zu lassen, und die Nacht brachte keine Abkühlung. In der Badewanne würde ich es besser aushalten können, meinte ich, klemmte mir einen Band Edgar Allan Poe unter den Arm und tauchte bis zum Hals in das kühle Wasser, sorgfältig das Buch hochhaltend.

Aus dem Abschnitt Faszination des Grauenswählte ich die Erzählung Das vorzeitige Begräbnis. Während ich Seite für Seite umblätterte, schob ich mich zentimeterweise aus dem Wasser. Die Emaille der Badewanne, das weiße Leinen des Sarges … noch vor dem Ertrinken in der Badewanne irrtümlich in ihr beerdigt … Zwanghaft schloss ich die Augen. Friedhofsstille, Dunkelheit und der modrige Geruch feuchtwarmer Erde umfingen mich.

Poe flog in hohem Bogen, wobei er den Schutzumschlag verlor und auf die Kante des Waschbeckens aufschlug, kurz überlegte und dann plumpsend ins Wasser zu den eingeweichten Socken fiel. Nicht er hatte mich ersäuft, sondern ich ihn, allerdings postum, so dass er sich wegen eines Begräbnisses bei lebendigem Leibe nicht ängstigen musste.

Zitternd stieg ich aus der Wanne und rieb mich sorgfältig trocken. Noch mehr solcher Hirngespinste, der Abwechslung halber in der Küche und im Schlafzimmer, und ich würde die nächste Nacht sitzend auf dem Klo verbringen.