StartseiteAlmtraumFolge 121 vom 31. Juli 2007

Folge 121 vom 31. Juli 2007

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Durch das Schiebefenster fielen Streifen helles Sonnenlicht in den Schlafraum. Bettinas Haare kitzelten Stefan im Gesicht. In der nächtlichen Kühle des Schlafraumes waren sie eng aneinander gerückt und teilten sich die Wärme. Stefan schloss die Augen und startete mühelos die Erinnerungen der letzten Nacht, von den sanften Berührungen bis zu den heftigen umklammernden Bewegungen.

Bettina streckte die Beine und drehte sich auf den Rücken. Sie holte tief Luft, einem Schnaufen ähnlich, das seine Stimmung störte.

Unerwartet trafen sich ihre Blicke.

»Wer bist du, Stefan Bruhks?« fragte sie.

»Hallo, guten Morgen«, antwortete er. »Die Sonne scheint, der Regen ist ausgeblieben, da sollten wir uns den Tag nicht mit Gewissenserforschungen belasten.«

»Mit einem Mann wie dir habe ich noch nie geschlafen«, fuhr Bettina unbeirrt fort. »Und jetzt, wo dein Mund jede Stelle meines Körpers von der Stirn bis zu den Kniekehlen besser kennt als ich in dreiunddreißig Jahren, solltest du ihn zum Reden gebrauchen.« Sie küsste ihn flüchtig auf die geschlossenen Lippen. »Du hast mich verrückt gemacht.«

Stefan zog sie an sich.

Sie machte ihren Mund frei und sagte: »Du frönst deiner Lieblingsbeschäftigung: Ablenken. Nach all dem, was du mit mir veranstaltet hast, ist Vertrauen die wichtigste Voraussetzung. Ich hätte dir nie verziehen, wenn ich nicht Vertrauen gehabt hätte. Jetzt erzähle mir, wer du bist, Stefan Bruhks.«

In Stefans Bauch drehte sich der Schreck. Über kurz oder lang würde er sich zu Panik wandeln und nach seiner Kehle greifen. Der unerwartet glückliche Ausgang der Entführung lenkte sein Leben nicht von selbst in geordnete Bahnen. Sich zu verkriechen ist eine andere Sache, hatte sie gesagt. Er würde nicht ständig vor sich weglaufen können. Das Leben würde die Lücken seiner Erinnerung füllen, hoffte er, wenn sich jemand fände, der ihm mit genügend Interesse zuhören würde.

»Die Wahrheit ist«, sagte er, »dass ich mein Leben erst seit knapp vierzehn Tagen kenne. Mein Name ist Stefan Bruhks, wenn ich meinem Personalausweis Glauben schenke.«

»Drücke dich deutlicher aus. Was bedeutet erst seit knapp vierzehn Tagen?«

»Was davor war, liegt im Dunkeln.«

»Amnesie? Warum müssen Schriftsteller einfache Sachverhalte stets kompliziert formulieren?«

»Ich habe vier Manuskripte in meinem Computer und eine Menge Verlagskorrespondenz im Bücherregal gefunden. Ist das der Beweis, dass ich Schriftsteller bin?«

Bettina setzte sich auf. »Warum hast du dich dann mir gegenüber als Schriftsteller ausgegeben?«

»Ich habe mich den erdrückenden Beweisen gebeugt. Tatsächlich verspüre ich einen ausgeprägten Hang zum Lesen und nicht zum Schreiben.«

»Das könnte vorübergehend sein.«

»Es gibt mich nicht, keinen Stefan Bruhks, weder amtlich und auch nicht unter der Adresse, wo ich wohne. Das ist eine Tatsache.«

Bettina drehte sich ihm zu und stützte ihren Oberkörper auf den Arm. Kalte Luft strömte unter die Decke.

»Leg dich wieder hin«, sagte Stefan. »Ich habe es auf dem Bürgerbüro nachgeprüft. Meine Nachbarin schwört, dass in meiner Wohnung bis vor kurzem eine Frau gewohnt hat, Stefanie. Sie nimmt an, ich sei ihr Bruder. Mein Kleiderschrank enthält nur Frauengarderobe, mein Bad ist voll mit Kosmetika, im Medikamentenschrank liegt die Pille. Kein Wunder, dass ich nicht schwanger werde.« Stefan steigerte sich in verhaltene Wut. »Dabei ist die Auflösung doch so einfach! Ich wache nach einem Anfall von Amnesie in der Wohnung meiner – Freundin, Schwester, Geliebten auf. Leider ist die Holde auf Nimmerwiedersehen verschwunden, also muss ich mich allein auf die Suche nach meiner Wohnung machen. Welch bedeutungsloses Detail, dass Stefanies Adresse laut meinem Personalausweis auch meine Adresse ist!«