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Büchermachen III: Das Lektorat – Was machen die eigentlich?

Unregelmäßig und immer am Samstag berichtet der Lektor, Verleger und Literaturagent Vito von Eichborn über das Büchermachen. Es geht ihm nicht um Theorien, sondern um das Handwerk auf dem Weg zur »Ware Buch«. Er redet Klartext, räumt mit Vorurteilen auf – und will zum Widerspruch anregen. Und er bittet um Fragen über den Buchmarkt, um an dieser Stelle darauf einzugehen.

Eine Kolumne von Vito von Eichborn

Im Kern sind Lektoren natürlich dazu da, neue Autoren und Projekte anzuschleppen. Und die Autoren des Verlags zu pflegen, ihre Manuskripte zu bearbeiten. Vom falschen Sinnzusammenhang über Grammatik bis zum letzten Komma. Beim Lektorieren gibt es übrigens alles, was man sich denken kann. Bei Arno Schmidt war jeder Apostroph heilig; ich korrespondierte mit Herrn Krawehl – gewissermaßen Schmidts Eckermann – seitenlang nur über ein Komma im Ankündigungstext des Verlags. Max von der Grün dagegen ging mit seinem Lektor von Luchterhand drei Wochen in eine Hütte; sein Text war gewissermaßen Rohstoff, um den Roman zu gebären. Der knallharte Hubert Fichte hingegen akzeptierte buchstäblich nichts. Der Lektor schreibt hinein, streicht, schlägt vor. Macht hat er grundsätzlich keine, das letzte Wort hat immer der Autor. Dem sagte ich gerne: »Mein Job ist es, dich für jede Verbesserung zu quälen. Aber dein Name steht auf dem Buch – du entscheidest.«

So. Nun mache ich mir’s einfach und zitiere Albert Zuckerman aus seinem (vergriffenen) Buch »Bestseller«, weil er dies so präzise zusammengefasst hat:

»Reißt der Text eines unbekannten Autors den Lektor nicht buchstäblich vom Hocker, wird es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit abgelehnt.

Verlagslektoren sind notorisch überarbeitet. In ihrer Bürozeit telefonieren sie mit Agenten und Autoren, diskutieren mit Herstellern, Werbe- und Vertriebsleuten, streiten in Konferen­zen über Umschläge, Manuskriptankäufe, Vorschautexte und Herstellungstermine, halten freie Mitarbeiter und Übersetzer auf Trab, schulen Lektoratsassistenten, suchen nach Gelegen­heiten, der Verlagsleitung bestimmte Buchprojekte schmack­haft zu machen und diese mit entsprechenden Werbeetats auszustatten, und manchmal verhandeln sie auch über eigene Gehaltserhöhungen oder eine Beförderung.

Das Ende vom Lied ist, dass ein Großteil der eigentlichen Lektoratsarbeit so­ wie die gesamte Lesetätigkeit auf die Abende und Wochenenden verschoben wird, und die sind natürlich immer zu kurz, denn jeder Lektor wird ständig mit Manuskripten überhäuft, die sich dann zu Bergen auf seinem Schreibtisch stapeln. Der größte Teil der Arbeitszeit bleibt längst eingeplanten, bereits in der Produktion befindlichen Büchern vorbehalten, in die der Verlag oft schon große Summen investiert hat. Die Pflege und Betreuung dieser Investitionen ist die Hauptaufgabe der Lektoren. Oft arbeiten sie sich buchstäblich die Finger wund, um die Manuskripte der ihnen anvertrauten Autoren so gut und so lesbar wie möglich zu machen. Für Neulinge bleiben Lektor und Lektorin angesichts dieser Aufgabenfülle nur we­nig Zeit und Kraft – es sei denn, das vorgelegte Manuskript ist wirklich ganz hervorragend.«

Was hier noch fehlt, ist das Kümmern um die Bücher von Autoren, die – oder deren Inhalte – der Lektor nicht leiden kann. Das Leiden des Lektors entlang an Fehlern seiner Vorgesetzten. Der Widerspruch von Form und Inhalt …

Bevor ich meinen Verlag gründete, war ich sieben Jahre Lektor beim Fischer Taschenbuch Verlag. Dazu gehörte wesentlich das Einkaufen von Lizenzen (ich liebte tschechische und lateinamerikanische Autoren, meist schwer verkäuflich). Aber bald machte ich vielerlei Originalausgaben, von Märchen über den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt, von Liederbüchern bis zur Reihe »Mein Lesebuch«. Das erzähle ich für eine schöne Pointe: Als Heinrich Böll mir für seine Anthologie ein paar fotokopierte Seiten Dostojewski schickte, fragte ich nach dem Übersetzer. Wusste er nicht. Und als ich meinte, die Piper-Übersetzung sei doch viel besser als die alte von Goldmann, meinte er locker: Na gut, dann nehmen Sie die. Und umgekehrt: Kempowski holte mich mit seiner Quäkstimme morgens zu Hause aus dem Bett – und natürlich hatte ich wach zu parieren.

Ja, Lektoren müssen auch Klugscheißer sein. Aber wie unter Autoren – vom arroganten Großkotz bis zum bescheidenen Böll – gibt‘s auch unter den Lektoren alles, vom neurotischen Leiden an der Welt bis zu leidenschaftlichen Literaturliebhabern. Mancher ist verhinderter Autor. Und bei Autoren: Wenige Werke sind größer als ihre Urheber. Jedoch halten viele Urheber sich für bedeutend, geradezu verkannt. Die Nachwelt wird’s richten.

Im Kern wissen wir ja alle, dass es für das Ringen um Inhalte und Sprache keine Rezepte gibt. Immer nur Annäherungswerte, die wir als Vermittler der Autoren zu optimieren versuchen. Ohne dickes Fell geht da nichts. Aber der Kampf um Markt und Meinung ist ein wunderbarer Beruf.

Wobei im Laufe der Jahrzehnte die Macht der Vertriebsleute immer mehr zugenommen hat. Denen zu sagen: »Das Buch ist große Klasse« – ist eine Null-Aussage, sie führt zur Frage: »Und wo ist das Verkaufsargument?« Für einen Lektor gibt es heftigste Enttäuschungen – wenn er immer wieder gegen die gleiche Wand läuft: Inhaltliche Qualität und Verkaufsqualität liegen oft weit auseinander.

»Der Markt« ist ein unbegreifliches Monster. Abgelehnte wie auch gedruckte, aber erfolglose Autoren beschweren sich gerne: »So ein Scheiß wie von der und von dem wird verkauft!« – stimmt: Erst entscheiden Verlage, was ins Programm kommt. Dann entscheiden Händler, was sie überhaupt anbieten, und Medien, was sie empfehlen.

Dann jedoch entscheiden Leser: Was die nicht annehmen, landet im Reißwolf.

Es gilt die eiserne Regel: Je intelligenter ein Buch ist, desto weniger Leser gibt‘s dafür?

Der Intelligenzquotient in einer Gesellschaft ist eine Pyramide.

Oder?

Vito von Eichborn

Albert Zuckerman; Ken Follet; Kerstin Winter (Übersetzung): Bestseller schreiben: Wie Ihnen mit der Outlining-Methode Erfolgsromane gelingen. Mit Textbeispielen von Ken Follett und anderen Bestsellerautoren. Gebundene Ausgabe. 2018. Autorenhaus-Verlag. ISBN/EAN: 9783866711457. 19,90 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Albert Zuckerman: Bestseller: Wie man einen Erfolgsroman schreibt (Lübbe Belletristik). Gebundene Ausgabe. 1995. Lübbe. ISBN/EAN: 9783785708057
Albert Zuckerman; Ken Follett (Einleitung): Bestseller: Wie man einen Erfolgsroman schreibt. Taschenbuch. 2000. Bastei Lübbe. ISBN/EAN: 9783404940080

Vito von Eichborn, 1943 geboren, Studium, Journalist und Aussteiger, begann 1973 im Lektorat bei Fischer in Frankfurt. 1980 Gründung des Eichborn Verlags, den er 1995 freiwillig verließ: »Das war der Fehler meines Lebens.« Geschäftsführer bei Verlagen in Hamburg. Lebt seit 2007 in Bad Malente. Gründete zwischenzeitlich auf Mallorca den Verlag Vitolibro, den er mit norddeutschen Regionalia, literarischen Ausgrabungen und Kuriosa fortsetzt. Ist manchmal Agent für Autoren (»nur, wenn das Projekt marktfähig ist«), schreibt, lektoriert, entwickelt Projekte.

5 Kommentare

  1. Na also, Sie wissen es doch! (bezieht sich auf einen Kommentar im vorigen Beitrag).
    Lektoren haben es nicht leicht. Sie kämpfen mit Autoren, die glauben, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, mit unprofessionellen Autoren, die nicht gelernt haben, dass der Lektor ihr Werk besser machen kann, und sie kämpfen mit Erfolgsautoren. Romanenden wie in Montecristo (Suter), Message in a bottle (Weit wie das Meer) (Sparks) oder ein inhaltliches Verhaspeln wie bei La isla bajo el mar (Eine Insel unter dem Meer) (Allende) wären nicht möglich, hätte der Verlag keine Angst vor dem Weggang des Autors.
    Nein, der Job des Lektors ist echt nicht zu beneiden, wird von ihm doch verlangt, dass er aus so manchem Brikett einen Edelstein schleift.

  2. Leider bin ich die geborene Korrekturleserin. Das ist nicht gerade angenehm. Fast alle grammatischen, orthografischen und Kommafehler springen mir beim Überfliegen einer Seite ins Gesicht wie frische Hundehaufen auf einem sauberen Gehweg. Und nie denke ich: Was’n das für’n unfähiger Autor?
    Warum? Weil ich (vom Korrekturlesen) nur zu gut weiß, dass es sogar Doktoren und Professoren der Germanistik gibt, die besser ihre gesamte Korrespondenz vor dem Absenden gegenlesen lassen sollten.
    Nein, ich spontandenke bei jedem – meinen Lesefluss wie auch mein ästhetisches Empfinden beleidigenden – Fehler empört: Welcher LEKTOR hat denn da schon wieder gepennt?!
    Derartiges Grollen wird auf ewig unveröffentlicht bleiben, ist aber in der möglicherweise sich nicht nur bei mir aufstauenden Massenstörung der geistigen Atmosphäre schlecht fürs Karma der Lektoren. Die können aber nichts dafür, dass man ihnen aus Spargründen außer dem Schnüffeln, Rechnen, Zaubern und Coachen auch noch das Korrekturlesen aufgehalst hat.
    Und trotzdem denke ich immer wieder diesen oben zitierten unfairen Satz. Reflexe sind schwer auszutreiben, unfaire erst recht.

    P.S. Außerdem möchte ich mal bemerken, dass es furchtbar anstrengend ist, in diesem geradezu geizig winzigen Schreibfeld die Übersicht zu behalten und eigene Tippfehler zuverlässig zu korrigieren. Wer einen Fehler findet, darf hämisch grinsend der Autorin Minuspunkte zuteilen.

  3. für Mariluise Ritter zum Thema SCHREIBFELD (aus dem P.S. ihres Kommentars)

    Sehen Sie die kleine Markierung aus diagonalen Strichen im rechten unteren Eck des Schreibfelds?

    Einfach mal mit der Maus drauf gehen und ziehen – und schon vergrößert sich das Schreibfeld entsprechend Ihrem Bedarf!

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