
Damals Bestseller-Autor, heute vergessen: Eine fast 50 Jahre alte ARD-Doku von 1978 zeigt, wie der Autor Michael Burk seinen Erfolg plante – mit Titeltests, enormen Marketing-Budgets und Buchhändler-Reisen nach New York. Die Bücher lehnten sich in Inhalt und Aussehen an den Werken des immer noch berühmten Kollegen Johannes Mario Simmel an.
Der YouTube-Kanal Retroversum hat ein bemerkenswertes Fundstück ausgegraben: Eine ARD-Dokumentation vom 19. Oktober 1978 mit dem Titel »Ein Bestseller wird gemacht«. 47 Jahre ist der Film alt. Er dokumentiert die Arbeit des Schriftstellers Michael Burk, 1924 geboren und mittlerweile über 100 Jahre alt, dessen Name heute niemandem mehr etwas sagt und dessen Romane nur noch antiquarisch zu haben sind.
Dabei war Burk Mitte der 1970er Jahre durchaus erfolgreich. Sein 1975 im Münchener Schneekluth-Verlag erschienener Roman »Keine Stunde ist zuviel« wurde zum Bestseller – nicht zufällig, sondern nach Plan. Die Dokumentation zeigt, wie dieser Plan aussah.
Simmel als Vorbild
Burk schrieb bewusst wie Johannes Mario Simmel. Nicht nur die Stoffe waren ähnlich – die Welt der oberen Zehntausend, Spannung, Liebe und ein Hauch von Gesellschaftskritik. Auch die Buchcover glichen sich verblüffend: weiße Hintergründe, geschwungene Schrift, Titel aus ganzen Sätzen. »Das Spiel gehört zum Leben«, »Dann gnade dir Gott« – man hätte die Bücher für Simmel-Romane halten können.

Simmel sah das naturgemäß anders. Sein Verlag Droemer Knaur klagte gegen das seiner Meinung nach zu ähnliche Erscheinungsbild. Ohne Erfolg. Das Landgericht München entschied 1975, eine Verwechslungsgefahr bestehe nicht, denn »auch der flüchtige Durchschnittskäufer erkennt bei nur oberflächlichem Hinschauen«, dass der Roman nicht von Simmel stamme. Für die Kaufentscheidung sei »immer noch die Person des Autors wesentlich«.
Recherche wie bei Hemingway
Die Doku begleitet Burk bei seiner Arbeit. Er erklärt, wie er Romanideen entwickelt – »wie vielleicht bei der Schwangeren das Kind, so ganz allmählich« –, wie er recherchiert und Interviews führt. In einer Szene sitzt er in einem pharmazeutischen Forschungslabor und lässt sich die Strukturaufklärung organischer Substanzen erklären. Später, in der Hotelhalle, diktiert er die gewonnenen Erkenntnisse per Telefon seinem Lektor.
Burk betont mehrfach, dass die Hälfte seiner Arbeitszeit in Recherchen fließe. Er nennt Hemingway als Vorbild. Die Kamera zeigt ihn beim Schreiben, beim Nachdenken, beim Reisen. In New York trägt er einen weißen Anzug wie Tom Wolfe.
Tests und Marketing-Budgets
Michel Burk plante seine Bestseller nicht nur inhaltlich oder wartete auf Eingebungen. Er testete Buchtitel, ließ potenzielle Käuferinnen und Käufer abstimmen, welcher Titel am besten funktionieren würde. Die Doku zeigt diese Tests. Marketing-Maßnahmen wurden strategisch eingesetzt: Der Verlag lobte einen 10.000-DM-Preis für Buchhändler aus, die das Buch besonders gut verkauften. Mit der gleichen Summe war damals der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels dotoert. Buchhändler wurden zur Buchpremiere nach New York eingeflogen, wo sie die Schauplätze des Romans besichtigen konnten.
In der Doku erklärt ein Buchhändler, wie wichtig solche Reisen seien: Man könne das Buch »engagierter« verkaufen, wenn man die Orte kenne. Er glaubt fest daran, dass Buchhändler »einen bestimmten Einfluss« auf den Verkauf haben.
Damals waren Buchhändler die wichtigsten Multiplikatoren. Wer seine Bücher in den Buchhandlungen platziert bekam, hatte gewonnen. Die Doku zeigt Burk im Gespräch mit Franz Beckenbauer bei einer Geburtstagsfeier für das Buch im New Yorker Plaza Hotel. Die Buchpremiere in New York – »das erste Mal, dass das Buch eines deutschen Autors, das nicht nur in New York spielt, sondern auch dort geschrieben wurde, hier vorgestellt wird« – war Teil der Inszenierung. Paradoxerweise erschien der Roman aber nicht auf englisch sondern lag nur in der Buchhandlung Rizzoli aus. Ein klein wenig hat man den Eindruck, dass auch diese prominente Schaufenster-Platzierung vom Verlag für die Doku gekauft wurde.
Naivität als Charme
Die Doku selbst ist mindestens so faszinierend wie ihr Gegenstand. Sie hat einen naiven, fast ehrfürchtigen Ton, den man heute so nicht mehr hört. Der Off-Kommentar erklärt die Vorgänge sachlich, ohne Ironie, ohne kritische Distanz. Die Kamera zeigt Burk beim Diktieren, beim Recherchieren, beim Feiern – alles wird ernst genommen, nichts hinterfragt.
Die Programmansagerin (sowas gab es damals noch) betont vorab ausdrücklich, dass »alle Filmszenen mit Michael Burk nicht gestellt worden sind«. Diese Versicherung wäre heute überflüssig oder würde gerade Misstrauen wecken. 1978 war sie ein Qualitätsmerkmal, heute wäre es gescriptet. Für die Doku verantwortlich war Micaela Lämmle vom SWR, die später von 2004 bis 2007 Programmchefin bei SWR2 war.
Man sieht die 1970er Jahre in jeder Einstellung: die Hotelhallen, die Kleidung, die Telefone, die Art, wie Menschen miteinander sprechen. Burk notiert sich Interviews noch von Hand, weil er nicht stenografieren kann. Er sagt Sätze wie: »Entschuldigen Sie, Herr Doktor, ich kann die Stenografie nicht, schreibe es mit der Hand, und da dauert das ein bisschen.«
Die Ironie der Geschichte
Was die Macherin der Doku nicht ahnen konnten: Michael Burk ist heute völlig vergessen. Seine Bücher sind nur noch antiquarisch erhältlich. Wer nach seinem Namen sucht, findet kaum mehr als einen Wikipedia-Eintrag und ein paar Angebote in Antiquariaten.
Auch der Schneekluth-Verlag existiert nicht mehr. Er wurde 2003 von der Verlagsgruppe Droemer Knaur übernommen – ausgerechnet von jenem Verlag also, der einst gegen Burks Simmel-Kopien geklagt hatte. Simmel selbst, der Burk als Konkurrent sah, starb 2009 in Luzern. Auch seine Romane sind heute nicht mehr im Gespräch, obwohl er mit über 70 Millionen verkauften Exemplaren zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Autoren überhaupt zählt, doch einige Simmel-Titel kennt man noch (»Es muss nicht immer Kaviar sein«).
Man sieht: Bestseller wurden auch 1978 geplant. Die Methoden haben sich geändert – statt Buchhändler-Reisen nach New York gibt es heute BookTok und Instagram-Kampagnen, statt 10.000-DM-Preisen für Buchhandlungen gibt es Influencer-Kooperationen. Aber die Grundidee ist dieselbe: Bücher werden nicht nur geschrieben, sie werden gemacht.
47 Jahre später auf YouTube
Die Dokumentation »Ein Bestseller wird gemacht« ist auf dem YouTube-Kanal Retroversum verfügbar. Sie dauert knapp 43 Minuten und wurde am 19. Oktober 1978 erstmals im ARD-Programm ausgestrahlt. Wer sich für die Geschichte des Buchmarkts interessiert oder einfach nur sehen will, wie Ende der 1970er Jahre Fernsehen gemacht wurde, findet hier ein lohnenswertes Zeitdokument.
Dass am Ende der Sendung direkt in das Kinderprogramm übergeleitet wird – »Wir schalten um zum Bayerischen Rundfunk nach München« –, macht die Sache nur noch charmanter. Das war 1978 eben noch normal.

