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»Underground Railroad« von Colson Whitehead: Sprachlich in den Untergrund

Underground Railroad von Colson Whitehead

Gelegentlich erzählen Menschen nach der Lektüre eines historischen Romans, dass sie »unglaublich viel über die damalige Zeit erfahren hätten«. Das ist irritierend, denn schließlich haben sie ein fiktives Werk und kein Sachbuch gelesen.

Würde man mit einer solchen Haltung den Roman »Underground Railroad« von Corlson Whitehead lesen, so würde man erfahren, dass Anfang des 19. Jahrhunderts ein geheimes und weit verzweigtes unterirdisches Eisenbahnnetz dafür sorgte, dass schwarze Sklaven aus dem Süden der USA in den Norden fliehen konnten.

Auch das ist irritierend. Glaubt man dies nicht und googelt man, so erfährt man, dass es die »Underground Railroad« in der erwähnten Zeit tatsächlich gab. Allerdings war sie keine Eisenbahn auf unterirdisch verlegten Schienen, sondern ein Netz von Fluchthelfern, die Menschen in den Norden brachten, wo es keine Sklaverei gab.

Ein Romanautor darf so etwas, denn schließlich schreibt er kein Sachbuch. Und dennoch bleibt die Irritation bei der Lektüre, da Whiteheads Buch zunächst wie einer der schon oft erzählten Sklavenromane beginnt. Und die beginnen oft in Afrika.

»Underground Railroad« hat den Pulitzer-Preis gewonnen, die wohl höchste Literaturauszeichnung in den USA. Barack Obama hat das Buch empfohlen und – noch viel wichtiger – auch Oprah Winfrey.

Der Autor Corlson Whitehead verlegt in seiner Fluchtgeschichte nicht nur unterirdische Eisenbahnschienen. Das von ihm beschriebene Amerika ist ebenfalls nicht das Amerika des frühen 19. Jahrhunderts. Stattdessen verwendet er zwar die Namen realer Bundesstaaten, doch stehen diese für unterschiedliche Gesellschaftsmodelle, wie die Weißen mit den Schwarzen umgehen und umgehen könnten. Cora ist die Hauptperson in Whiteheads Roman und auf der Flucht. Mit der Eisenbahn fährt sie von Staat zu Staat, steckt buchstäblich ihren Kopf aus der Erde und erlebt unterschiedliche Parallelwelten. Einige sind an die tatsächlichen damaligen Verhältnisse angelehnt und die Schwarzen schuften auf Farmen und Plantagen. In einem anderen Staat leben Weiße und Schwarze scheinbar gleichberechtigt zusammen, doch auch hier stimmt einiges nicht. In wieder einem anderen Staat haben die Weißen die Schwarzen umgebracht und ausgerottet, sodass sich Parallelen zur NS-Ideologie ziehen lassen. Cora erlebt keine Welt der wirklichen Gleichberechtigung oder gar eine, in der die Schwarzen über die Weißen herrschen.

Vieles, wenn nicht gar alles von dem, was Whitehead beschreibt, ist denkbar und gab es in der Weltgeschichte tatsächlich. So beschreibt er beispielsweise eine Art Erlebnispark, in dem die Schwarzen als Komparsen ihre eigene Geschichte darstellen, vom »Sklavenschiff« bis zu »Finsteres Afrika«. Zur Kolonialzeit wurden auch in Deutschland Menschen aus Afrika in Zoos ausgestellt.

Schnell wird klar: »Underground Railroad« ist ein zutiefst amerikanischer Roman. Obwohl er bereits 2015 geschrieben wurde und 2016 erschienen ist, ist er zu Zeiten Trumps und der Stärkung der rechten Szene aktueller als zuvor. Allein das Amerika mit einem Schwarzen als Präsident und das Amerika mit einem unverhohlen mit der rechen Szene sympathisierenden Psychopathen wirken wie zwei überzeichnete Parallelwelten aus »Underground Railroad« – doch beides war und ist real. Dass Obama und Winfrey den Roman mit Nachdruck empfehlen, verwundert nicht, dass er 2017 den Pulitzer-Preis und 2016 den National Book Award gewonnen hat, ebenso wenig. Preise setzen Zeichen.

Dennoch liest sich die Geschichte sperrig und langatmig. Viel wird erzählt, viele Namen genannt, über weite Strecken hat die Geschichte selbst keinerlei Spannung und plätschert dahin, wäre nicht der Subtext, der sie am Leben erhält. In den Whiteheadschen Modellwelten werden die Figuren des Romans zu Schauspielern in der eigenen Geschichte und wechseln mitunter sogar ihre Namen.

Die Sprache klingt ebenso sperrig und ungelenk und man wundert sich, dass es dafür Literaturpreise gibt. Überstrahlt die Allegorie das alles?

24 Euro kostet die gebundene deutsche Druckausgabe. Lädt man sich für 5,62 Euro das amerikanische Original als E-Book herunter und vergleicht den Text, so wird schnell klar, dass Whiteheads Sprache nicht adäquat ins Deutsche gebracht werden kann.

Nehmen wir nur den ersten Satz »The first time Caesar approched Cora about running north, she said no.« Er ist exemplarisch für Whiteheads dichte Sprache. Wenn aus einem »runnig north« eine »Flucht in den Norden« wird, entstehen Ecken und Kanten, die das Englische nicht hat. Und was ist mit dem »approched«? »Ihr mit der Idee kam«? Zu salopp. »Ihr die Idee nahelegte«? Trifft es nicht ganz. »An sie herantrat, um …«? Auch nicht. Übersetzer Nikolaus Stingl hat sich für folgende Version entschieden: »Als Caesar das erste Mal von einer Flucht in den Norden redete, sagte Cora nein.« Was man auch versucht, man kommt dem eleganten Englisch nicht nahe. Andere Entscheidungen, wie »to see if she was in flower« mit »um festzustellen, ob sie mannbar war« zu übersetzen, sind eher unglücklich. Man muss kein Fetischist der Lektüre von Originalversionen sein, um zu erkennen, dass die sprachliche Eleganz in der deutschen Version gänzlich verloren gegangen ist. Das darf nicht dem Übersetzer angelastet werden, weil es eher ein Verdienst des preisgekrönten Autors ist.

Wolfgang Tischer

Colson Whitehead; Nikolaus Stingl (Übersetzung): Underground Railroad: Roman. Pulitzer-Preis 2017. Gebundene Ausgabe. 2017. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446256552. 24,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Colson Whitehead: The Underground Railroad: Winner of the Pulitzer Prize for Fiction 2017 (English Edition). Kindle Ausgabe. 2016. Fleet. 6,49 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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2 Kommentare

  1. Genau mein Eindruck, Herr Tischer: Je besser die Vorlage sprachlich, desto schwieriger bis unmöglich die Übersetzung. Mein Lieblingsbeispiel ist Stephen King, der sprachlich dem Volk sehr genau aufs Maul schaut. Da dies Amerikaner sind, die eben in ihrer ganz eigenen Weise sprechen, und auch da meist die einfachen Leute mit Slang, kann eine Übersetzung nur scheitern. Mit der Folge, dass Stephen King gerne als Schundautor von oben herab betrachtet wird. Kein Fehler der Übersetzer, sondern eher eine Unmöglichkeit adäquater Übertragung ins Deutsche.

  2. “Gelegentlich erzählen Menschen nach der Lektüre eines historischen Romans, dass sie »unglaublich viel über die damalige Zeit erfahren hätten«. Das ist irritierend, denn schließlich haben sie ein fiktives Werk und kein Sachbuch gelesen.”

    Meine Güte. Gute Autoren recherchieren vor dem Verfassen eines Romans akribisch mittels Quellen, SACHBÜCHERN und Zeitzeugen usw. für ihre Romane, so dass diese ganz locker den Rang eines Sachbuches erreichen können. Was ist daran “irritierend”?

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