StartseiteLiterarisches LebenVom Weltuntergang zum Bestseller: Klimawandel in der Literatur

Vom Weltuntergang zum Bestseller: Klimawandel in der Literatur

Klimawandel (Bild: DALL·E)
Klimawandel (Bild: DALL·E)

Noch vor wenigen Jahren galten Romane über Klimakatastrophen als Science-Fiction-Nische. Heute erobern sie deutsche Bestsellerlisten und Feuilletons. Die sogenannte »Climate Fiction« ist populär geworden – und bringt Verlage ins Schwitzen.

Der Klimawandel hat die deutsche Literaturlandschaft erreicht. Was lange als sperriges Nischenthema galt, entwickelt sich zum veritablen Verkaufsschlager. »Climate Fiction« oder kurz »CliFi« heißt das Genre, das zwischen Katastrophenroman und Gesellschaftskritik angesiedelt ist. Deutsche Verlage, die jahrelang eher auf bewährte Themen setzten, entdecken plötzlich ihr grünes Herz – ob aus Überzeugung oder Kalkül, sei dahingestellt.

Das Schmelzen der Bestsellerlisten

Den Durchbruch markierte eine norwegische Autorin, die eigentlich Drehbücher für Kindersendungen schrieb. Maja Lunde landete 2017 mit »Die Geschichte der Bienen« einen internationalen Bestseller. In drei Erzählsträngen von 1852 bis 2098 erzählt sie vom Bienensterben und seinen dramatischen Folgen für die Menschheit – von der Imkerei im England des 19. Jahrhunderts bis zu einer Welt ohne Bienen, in der Kinder Obstbäume von Hand bestäuben müssen. Das Buch stand monatelang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde in 40 Länder verkauft.

Das Schweizer Radio und Fernsehen sieht Lunde als »Wegbereiterin für andere Cli-Fi-Autorinnen und Autoren«. Der Erfolg kam überraschend, denn vor Lunde galt Klimafiktion in der Belletristik vor allem als »schwer verkäuflich«, wie das SRF berichtet. Ihre Bücher widerlegten die Annahme, dass im klassischen Roman niemand etwas über Bienen, Wasserknappheit oder aussterbende Tierarten lesen wolle.

Deutschsprachige Verlage entdecken das Grün

»Klimafiktion« ist jetzt ein Label, auf das die Verlage bei der Vermarktung ihrer Bücher setzen, konstatiert das SRF. Es soll zeigen: Wir sind am Puls der Zeit. Die Verlage gehen mit einer steigenden Anzahl von Übersetzungen mit, aber auch deutschsprachige Neuerscheinungen häufen sich, beobachtet das Climate Fiction Festival – ein 2020 erstmals in Berlin vom Climate Cultures Network veranstaltetes Literaturfestival, das Autorinnen und Autoren eine Bühne für Werke zur Klimakrise bietet.

Besonders bemerkenswert: Es ist sicher kein Zufall, dass sich auffällig viele Debütantinnen und Debütanten dem Thema zuwenden, heißt es in einem Bericht des Festivals. Die jüngste Autorengeneration motiviert weniger die Nabelschau in prekärer Gegenwart als das Betroffensein von einer möglicherweise katastrophalen Zukunft.

Die etablierten Verlage reagieren. Dank dieser Entwicklung schaffen es nun auch Texte auf den Markt, für die sich vor zehn Jahren kein deutschsprachiger Verlag interessiert hätte, berichtet das SRF. Wu Ming-Yi etwa, der weltweit schon lange große Erfolge feiert und sogar für den Man Booker International Prize nominiert war, war bis 2022 nicht in deutscher Übersetzung erhältlich. Erst jetzt erschien »Der Mann mit den Facettenaugen« bei Matthes & Seitz Berlin – ein magisch-realistischer Roman über indigene Küstenbewohner Taiwans, deren Existenz in einer von Umweltzerstörung bedrohten Natur unter die Räder gerät.

Deutsche Autoren zwischen Schätzing und Zukunftsangst

Frank Schätzing griff mit seinem internationalen Bestseller »Der Schwarm« (2004) die existenzielle Bedrohung des Menschen durch Umweltzerstörung auf und bildet einen wichtigen Meilenstein der deutschsprachigen CliFi. In dem Thriller lassen Meereslebewesen die Menschheit für ihre Umweltsünden büßen und greifen mit koordinierten Attacken die Zivilisation an. Der Roman war jedoch nicht das erste deutsche Werk zu diesem Thema – bereits Max Frisch behandelte in »Der Mensch erscheint im Holozän« (1979) die Klimakrise, und Gudrun Pausewang veröffentlichte in den 1980er Jahren mehrere Umweltkatastrophenromane.

Den nächsten Versuch unternahm Ilija Trojanow mit »EisTau« (2011) – einem Roman gegen die ideologische Leugnung der Klimaerwärmung. Der Titel erzählt die Geschichte eines Gletscherforschers auf Kreuzfahrten, konnte aber literarisch nicht überzeugen.

Erfolgreicher sind aktuelle deutschsprachige Titel: Franziska Gänsler veröffentlichte »Ewig Sommer«, Fabienne Maris »Hitzewelle«, Anja Schmitter »Leoparda« – alles 2022 erschienene Romane über extreme Temperaturen. Elias Hirschl gelang 2024 mit »CONTENT« ein vielbeachteter Beitrag zur Climate Fiction: Er erzählt von einem Influencer in einer von Klimakatastrophen und Internetsucht geprägten Zukunft.

Weder Gänsler noch Maris oder Schmitter beschreiben die lähmenden Sommer in ihren Texten als etwas Ungewöhnliches, stellt das SRF fest. Die Hitze ist einfach da. Der Klimawandel wird zur Normalität, zur Kulisse für zwischenmenschliche Dramen.

Das Dilemma zwischen Unterhaltung und Warnung

Climate Fiction steht vor einem grundsätzlichen Problem: Wie erzählt man vom Weltuntergang, ohne die Leser zu deprimieren? Das Genre hat ein Aufmerksamkeitsproblem, konstatiert das Jugendmagazin fluter. Entweder die Bücher sind zu deprimierend oder zu belehrend. Der literarische Sweet Spot zwischen Unterhaltung und Relevanz ist schwer zu treffen.

Hinzu kommt ein geographisches Problem: Andere Teile der Welt spüren die Krisensymptome der globalen CO2-Kultur länger und unmittelbarer, erklärt fluter. Dadurch sind sie auch in der jeweiligen Literatur verbreiteter. Deutsche Autoren müssen sich Szenarien vorstellen, die in anderen Weltregionen bereits Realität sind.

Zwischen Science Fiction und Gegenwartsroman

Ein entscheidender Wandel kennzeichnet die neue Climate Fiction: Bis vor einigen Jahren habe das Klima fast nur in Science-Fiction-Romanen oder Thrillern eine Rolle gespielt, berichtet das SRF. »Cli-Fi galt als Sub-Genre von Sci-Fi. Aus dieser Nische ist das Thema nun in den Gegenwartsroman geschwappt«, erklärt Martin Zähringer, Gründer des Climate Cultures Network Berlin, gegenüber dem SRF.

Der Begriff geht auf den Umweltaktivisten Dan Bloom zurück, der seinen postapokalyptischen Roman »Polar City Red« als CliFi (in Anlehnung an SciFi für Science Fiction) unter die Leute bringen wollte. Sein Buch blieb erfolglos, aber ein Genre war geboren.

Wissenschaftliche Aufmerksamkeit

Die akademische Welt nimmt Climate Fiction ernst. Axel Goodbody, Professor Emeritus an der Universität Bath und Mitbegründer der einflussreichen European Association for the Study of Literature, Culture, and Environment (EASLCE), publiziert seit Jahrzehnten zum Thema. Er hat insbesondere für die Forschung über deutsche Klimaliteratur Pionierarbeit geleistet, berichtet das Climate Fiction Festival.

2018 schreibt er als Herausgeber des Sammelbandes »Cli-Fi. A Companion«: »Ähnlich wie die Geschichten von Gender-Identität, so organisieren die Geschichten über die globale Erderwärmung unsere soziale Realität durch einordnende Fiktionen.« Geschichten seien Formen der Sinngebung mit der Kraft, Leser zu motivieren und zu mobilisieren.

Festival und Community

Das Climate Fiction Festival Berlin ist weltweit das erste mehrtägige Literaturfestival mit dem Schwerpunkt Klimakrise und Literatur, wie das Literaturhaus Berlin bewirbt. 2020 fand die erste Auflage statt, weitere Veranstaltungen folgten.

In der deutschsprachigen Medienwelt entwickelt sich erst langsam eine gewisse Kontinuität in der Wahrnehmung von Climate Fiction, stellt das Festival fest. Die Szene organisiert sich: Kritiker und Autoren im Climate Cultures Network Berlin vernetzen sich, Universitäten bieten Seminare an. 2020 organisierten Studierende der Freien Universität Berlin in Kooperation mit dem Literarischen Colloquium eine Veranstaltung zu »Die Klimakrise in den europäischen Literaturen«.

Erfolg mit Hindernissen

Trotz wachsender Aufmerksamkeit bleibt Climate Fiction ein schwieriges Genre. Kim Stanley Robinson betraut in »Das Ministerium für die Zukunft« eine fiktive UN-Behörde mit der Bewältigung der Klimakrise im Jahr 2025 – der Roman wurde von Barack Obama empfohlen und international viel diskutiert. Und widerlegte viele Verlage, denen Climate-Fiction als »Kassengift« gilt, wie fluter berichtet.

»Es ist sehr schwierig, sich vorzustellen, wie ein Klimawandelroman aussehen müsste«, zitiert fluter den Schriftsteller Jonathan Safran Foer. »Aber es ist auch sehr schwer, sich eine Zukunft vorzustellen, in der nicht alle Romane auf die eine oder andere Art Klimaromane sind.«

Internationale Anerkennung

Climate Fiction erhält inzwischen auch institutionelle Anerkennung. 2025 wurde erstmals der Climate Fiction Prize vergeben, dotiert mit £10.000. Die Begründung des Preises: »The climate crisis asks us to imagine other forms of human existence—a task to which fiction is the best suited of all cultural forms«, zitiert die Jury den Autor Amitav Ghosh.

Den Preis gewann Abi Daré für »And so I Roar«, einen Roman über ein vierzehnjähriges Mädchen in Nigeria, das mit den sozialen Folgen des Klimawandels konfrontiert wird.

Diversifizierung des Genres

Climate Fiction entwickelt sich weiter. Laut einer Definition des Berliner Climate Fiction Festival ist Cli-Fi kein eigenes Genre, sondern eher eine Strömung, berichtet fluter. Das Projekt Grist nennt in seinem Glossar neben bekannteren Ausprägungen wie Eco- oder Solarpunk Nischengenres wie Ecotopia, wie das Magazin TOR Online berichtet.

Heute ist Climate Fiction eines der Genres der Stunde, konstatiert TOR Online. Das Genre balanciert zwischen Gegenwartsbeschreibung und Zukunftsentwurf – und bringt Verlage dazu, sich Gedanken über die Welt von morgen zu machen. Ob aus Überzeugung oder Geschäftssinn, spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Die Apokalypse kommt näher – und verkauft sich mittlerweile prächtig.

Siglinde Auberle

Weitere Beiträge zum Thema

1 Kommentar

  1. Liebe Frau Auberle,
    halten Sie uns bitte auf dem Laufenden, wenn ein Roman wie Max Frischs „Der Mensch erscheint im Holozän“ erscheint, eine Geschichte darüber, dass der zerbrechliche Mensch seit Anbeginn seines Auftretens auf der Erde mit einer sich wandelnden Umwelt (Erosion, Bergstürze, Sintfluten etc.) konfrontiert ist. Frischs Haltung scheint mir skeptisch gegenüber menschlicher Machbarkeitsphantasie und zugleich lakonisch, gefasst, tapfer . Ein Kritiker nannte den Roman „a luminous parable of indeterminate purport“. Dieser „offene Sinn“ scheint mir persönlich konstituierend für gute Literatur; Belehrung und Aktivismus sind so ungefähr das Gegenteil davon.

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein.
Bitte geben Sie Ihren Namen ein

E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.