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Robert MacFarlane: Sind Flüsse Lebewesen? – Prosa zum Dahinfließen

MacFarlane: Sind Flüsse Lebewesen

Robert MacFarlane folgt dem Lauf des Wassers – von einer versiegenden Quelle in England bis zu den Nebelwäldern Ecuadors. Sein neues Buch fragt, ob Flüsse Lebewesen sind. Und antwortet mit einer Prosa, die selbst im Fluss ist.

»Wenn ein Fluss stirbt, dann stirbt auch das Leben in seiner Aura.«
Robert MacFarlane

Der britische Schriftsteller Robert MacFarlane hat es wieder getan. Nach seinem gefeierten Werk »Im Unterland«, hat sich der Autor erneut auf eine große Reise begeben. Diesmal geht er der Frage nach, ob Flüsse als Lebewesen gelten sollen, ob sie Rechte besitzen und wenn ja, wie würde das unseren Blick auf sie, auf die Natur, verändern.

Es ist das Cover, das auffällt. Ein frisches Maigrün in das sich zwei blaue und eine blaugrüne Linie mischen, ein Fluss, der sich mäandernd über den gesamten Buchtitel zieht. Der Künstler Stanley Donwood, der ebenfalls das vielbeachtete, auffällige Cover von »Im Unterland« und weiterer fünf anderer Bücher geschaffen hat, ist erneut ein Meisterwerk gelungen. Allein des Covers wegen greift man gerne nach diesem Buch.

Beeindruckend ist auch die Prosa, die Robert MacFarlane, einer der bedeutendsten Nature Writing Schriftsteller unserer Zeit, geschaffen hat. Schön und erschreckend zugleich.

In seinem Werk erkundet MacFarlane den »weltverändernden Gedanken, dass Flüsse Lebewesen sind.« Er bereist drei Landschaften, den ecuadorianischen Nebelwald, die Wasserstadt Chennai in Südostindien und einen Fluss in den Tiefen der kanadischen Wälder von Quebec.

Seine Reisen, Erkundungen und Begegnungen beginnen jedoch vor seiner Haustür, bei einer Quelle in England. Eine Quelle, versteckt gelegen in einem Buchenhain, die nur wenig Wasser führt und fast versiegt ist. »Ist das Wasser tot?«, fragt ihn sein neunjähriger Sohn. »Nein«, entgegnet ihm der Vater, mit gespielter Gewissheit.

Es war die Frage seines Sohnes, die ihn aufhorchen lässt und ihn dazu drängt, den Wegen des Wassers zu folgen, um Antworten zu finden. Neben der faszinierenden Natur im nebelverhangenen, mystischen Zedernwald in Ecuador, die Robert MacFarlane in meisterhafter Prosa beschreibt, sind es die Begegnungen mit den Menschen vor Ort, die sich leidenschaftlich für den Erhalt der Flüsse einsetzen. MacFarlane beschreibt ein Treffen mit der Pilzkundlerin Giuliana, die die Expedition als wissenschaftliche Leiterin begleitet. Eine Frau, die Standorte von Pilzen auf unglaubliche Weise sensorisch fühlen kann und unbekannte Gattungen entdeckte.

In Indien ist er mit Yuvan unterwegs, der als Kind durch asketisches Beobachten Insekten, Schlangen und Kröten so genau kennenlernte, dass er später eine Stiftung gründete, die die Verbreitung ökologischer Erkenntnisse und Praktiken fördert.

Es ist die Beobachtungsgabe, die MacFarlanes Beschreibungen unglaublich lebendig machen. Egal ob Natur, ob Mensch. Farlane zeichnet so detaillierte Bilder, schreibt mit großer Achtung, nimmt noch so kleine Details mit in seine Sätze, die er sich unterwegs notiert. Stets trägt er ein kleines Notizbuch bei sich.

Alles, was sich zwischen den über 400 Seiten abspielt, ist im Fluss. Was auch den beiden großartigen Übersetzern Frank Sievers und Andreas Jandl zu verdanken ist, die seit nunmehr zehn Jahren die Prosawerke von Robert MacFarlane meisterlich ins Deutsche übersetzen.

Das Buch folgt einem geheimen Sog. Sachte, unauffällig mischen sich wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Erlebnissen und Beobachtungsskizzen, umweben sie sich wie mäandernde Seitenarme, Prosa wie ein lebendiger Fluss.

Als Leserin wird man hineingesogen in diese wundervolle Welt des Wassers, erschrickt, wie grob und bestialisch der Mensch in dieses sensible, fragile System eingreift, es sich zu Nutzen macht, sei es durch Abbau riesiger Goldfelder oder der Bau von Staudämmen. Ergriffen liest man über den verzweifelten Kampf, bereits dem Tod preisgegebene Flüsse wiederzubeleben.

Wer das Buch am Ende zuklappt, ist tief bewegt und beseelt zugleich. Kaum jemand, der mit solcher Wucht und gleichzeitigem Feingefühl über die Natur schreiben kann. Ein Buch, voller Schönheit und Schrecken. Und am Ende kann die Antwort auf die Frage, ob Flüsse Lebewesen sind, nur mit einem »Ja, sie sind es« beantwortet werden. Denn solange sie fließen, besteht Hoffnung.

Birgit-Cathrin Duval

Robert Macfarlane; Frank Sievers (Übersetzung); Andreas Jandl (Übersetzung): Sind Flüsse Lebewesen?: Das neue brillante Buch der Nature-Writing-Ikone. Gebundene Ausgabe. 2025. Ullstein Hardcover ISBN/EAN: 9783550202506 29,99 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
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