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Mercedes nach Marrakesch oder Seelenpfad in Sachsen – Zwei Reisebücher

Bücher von Helge Timmerberg und Sebastian Schoepp
Bücher von Helge Timmerberg und Sebastian Schoepp (Foto: Duvall)

Analoge Reiseschriftstellerei, Geschichten, die passieren, weil das Leben passiert und sich nicht inszeniert. Die Story im Blick, scharfsinnig beobachtet, mit Wortwitz erzählt. Sätze, die nach frisch gebrühten Kaffee duften, auf den wir uns sehnsüchtig freuen, wenn wir morgens die Augen öffnen. Birgit-Cathrin Duval hat zwei solcher Bücher gelesen.

Bücher übers Reisen, geschrieben von Menschen, die irgendwo, irgendwas auf dieser Welt erlebt haben, gibt es wie Sand am Meer oder in Marrakesch. Aber nicht jeder, der reist, kann daraus ein richtig gutes Buch machen. Denn Schreiben, das ist Handwerk, das will gelernt sein. Heute stelle ich zwei Reisebücher vor, geschrieben von Menschen (hoffentlich, denn das weiß man in Zeiten von KI nicht mehr so genau), die ihr Handwerkszeug beherrschen. Also so richtig gut. So gut, dass ich neidisch bin auf meine Journalisten-Kollegen. Das heißt, sie waren es, bis sie angefangen haben, Bücher zu schreiben. Was wir von ihnen lernen können, erzähle ich in diesem Beitrag.

Der eine fährt im Mercedes-Oldie, den er vom Vater geerbt hat, bis nach Marrakesch, der andere schultert seinen Rucksack und wandert durch Deutschland. Klingt zunächst nicht nach weltbewegender Literatur, oder?

Nach Marrakesch im Mercedes mit Helge Timmerberg

Buch von Helge Timmerberg
Am Steuer des Mercedes sitzt Helge Timmerberg. Der hat über 70 Jahre auf dem Buckel, also der Autor, nicht das Auto, und Timmerberg gilt als Enfant terrible der Reisejournalisten. Er hat für alle Zeitungen und Magazine geschrieben von Allegra bis ZEIT, Bild, Bunte, Playboy, Spiegel und wie sie alle heißen. Wer für diese Medien schreibt, muss ja irgendwas richtig gemacht haben. Nur was? Liegt es daran, dass er als 20-Jähriger auf einem Indien-Trip in einem Ashram die Erleuchtung bekam, Journalist zu werden? Danach fing er in der Lokalredaktion einer Ostwestfälischen Tageszeitung an, die er aber alsbald wieder verließ, weil die richtig großen Magazine mit Aufträgen winkten. In Indien war ich auch, mit den Magazinen hat es nicht so recht geklappt. Vermutlich, weil ich in keinem Ashram war. Journalistin bin ich dennoch geworden, auch ohne Erleuchtung. Trotzdem: Höchste Zeit, um Timmerberg zu lesen, vielleicht kann ich ja was von ihm lernen.

Es ist der erste Satz. Der erste ist der wichtigste. Bei Timmerberg lautet der so: »Wer zu spät kommt, den bestraft die Straße. Ich hätte schon vor zehn Jahren losfahren sollen oder alternativ vor zwei Stunden.«

Zack, schon sind wir mittendrin. Wieso vor zehn Jahren? Warum hat er so lange gewartet? Und wohin will er fahren? Und was war vor zwei Stunden?

Der erste Satz ist genial. Er überrascht und macht neugierig. Und wenn sich solche Sätze durch ein ganzes Buch reihen, dann ist das ein verdammt gutes Buch. Denn es macht Laune, solche Sätze zu lesen.

Timmerberg, der alte Knacker, hat eine unglaublich frische Schreibe. »Es begann, wie immer in den guten alten Tagen, mit den Sternen. Ihr Licht glänzte wie ein Feenmantel auf dem Benz meines Vaters, der nun meiner war«. Da ist schon wieder ein solcher Satz, der leuchtet, wie eben nur Sterne an einem nachtdunklen Himmel leuchten können.

Ich nenne ebenfalls einen silbernen Mercedes mein Eigen, meiner sogar noch älter als Timmerbergs E 220 CDI Elegance. Mit original Stern auf der Haube. Timmerbergs Reise beginnt in einer Schweizer Mercedes-Niederlassung. Denn ein Benz ohne Stern ist wie die Tour de France ohne gelbes Trikot. Den Stern bekommt er für 50 Franken (seit wann sind Mercedes-Sterne in der Schweiz so billig?).

Dann kanns losgehen auf den Roadtrip nach Marrakesch. Ich drücke aufs Gas, die Haare wehen im Wind. Timmerberg und ich im Mercedes. Nur dass auf der Couch keine Haare im Wind wehen.

Helge Timmerberg revolutionierte den Journalismus in den 80ziger Jahren. Er schrieb seine Geschichten subjektiv, so, als sitze er mit seinen Freunden in der Bar, um seine Erlebnisse zum Besten zu geben. Seine Schreibe besitzt Sogwirkung. Sätze, die nach Rock’n‘Roll klingen. Ehrlich, rau und unmittelbar. Timmerberg kann beschreiben, was er will, es klingt immer poetisch und überraschend. Eine Regenfront auf der Autobahn liest sich so: »Vier schwarze Säulen verfolgen mich.« »Sind sie schneller als ich? Der Benz schafft 220 km/h, die Windböen nicht.«

Das ist es, was ich an so vielen Reisebüchern, die den Markt fluten, vermisse. Sprache, Sätze, die einen Rhythmus haben, die überraschen, neugierig machen, die mich mitnehmen, die mich die Haare im Wüstenwind spüren lassen.

Bon Voyage, 7.000 Kilometer bin ich mit Helge Timmerberg von St. Gallen bis Marrakesch gefahren. Dass wir unterwegs einige recht tiefe Schlaglöcher überwinden mussten, soll nicht unerwähnt bleiben. Denn Timmerberg, das muss gesagt werden, schwächelt. Er ist ja nicht mehr der Jüngste. Aber musste das wirklich sein? Seine schrumpfenden Hoden, Hormonpflaster und die schwächelnde Blase, die hätte ich mir gerne erspart.

Seelenpfade mit Sebastian Schoepp

Buch von Sebastian Schoepp

Sebastian Schoepp wandert. Mit Rucksack und Wanderstöcken. Sein Buchtitel macht mir zunächst ein wenig Angst: »Seelenpfade – Warum ich durch Deutschland wandere, um zu mir selbst zu finden.«

Aua. Ein Selbsterfahrungsbuch, das hat mir noch gefehlt. Zum Glück hat sich der Titel nicht bewahrheitet. »Wandern schafft Zufälle. Wir begegnen am Weg, wem wir eben begegnen. Was wir daraus machen, bleibt uns überlassen«, schreibt Schoepp.

Das trifft es schon eher: Ein Buch, in dem der Autor seine Erlebnisse, seine Begegnungen schildert. Er entpuppt sich als Beobachter, der auch die kleinen und feinen Nuancen wahrnimmt. Der uns auf seinen Füßen ein Deutschland präsentiert, das überrascht und neugierig macht. Schoepp (60) war lange Jahre Auslandskorrespondent der Süddeutschen Zeitung und lebte in Südamerika.

Der Autor präsentiert ein so leichtes, einfaches Leben, denn beim Wandern geht’s eigentlich nur darum, an einem Tag von A nach B zu laufen und abends ein gutes Essen, eine warme Dusche und ein Dach über dem Kopf zu haben. Es entschleunigt und befreit. Und schafft Zeit und Raum für Begegnungen, für Beobachtungen. Und das liest sich durchaus amüsant, wenn er muffige Pensionen beschreibt, in denen er absteigt oder sich auf ein Abendessen freut, das dann aus nur zwei Scheiben trocken Brot besteht, weil die Küche geschlossen hat. Aber auch von jenen Momenten des Glücks, wenn sich dann doch die Köchin erbarmt oder sich die Tore eines eigentlich geschlossenen Gasthauses öffnen und ein Nachtquartier angeboten wird.

Schoepp schafft es, mich neugierig zu machen auf die Wege, die er gewandert ist. Malerweg, Burgenweg, Pfälzer Weinsteig, Nibelungensteig, Albsteig. Er verknüpft seine wandernden Erlebnisse mit Wander-Philosophie. Ohne erhobenen Zeigefinger, ohne moralisches Blabla. Was ich daraus mache, bleibt mir überlassen. Am liebsten gleich den Rucksack packen und loslaufen.

Birgit-Cathrin Duval

Helge Timmerberg: Bon Voyage: Mit Papas Benz bis nach Marokko. Gebundene Ausgabe. 2025. Malik. ISBN/EAN: 9783890295923. 22,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Helge Timmerberg: Bon Voyage: Mit Papas Benz bis nach Marokko. Kindle Ausgabe. 2025. Piper ebooks. 19,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

Sebastian Schoepp: Seelenpfade: Warum ich durch Deutschland wandere, um zu mir selbst zu finden. Gebundene Ausgabe. 2025. Westend. ISBN/EAN: 9783864894862. 24,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Sebastian Schoepp: Seelenpfade: Warum ich durch Deutschland wandere, um zu mir selbst zu finden. Kindle Ausgabe. 2025. Westend Verlag. 18,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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