Wellers Wahre Worte am Café Tisch
Mai 2004 - Die monatliche Kolumne von Wilhelm Weller


Die Welt als Wille und Vorstellung

Barbara Clear träumte von tausenden Zuhörern und siehe: es ward Reality

Wilhelm Weller


Einen »Marsch durch die Wüste« nannte die Süddeutsche Zeitung den langen Weg der bis vor kurzem völlig unbekannten Folksängerin Barbara Clear zu ihrem Auftritt in der Münchner Olympiahalle am 25. April.
     Im Sommer 2001 hatte Clear, normalerweise vor etwa 50 Zuhörern spielend, die 14.000 Menschen fassende Olympiahalle auf eigene Kosten angemietet - insgesamt investierte sie rund 60.000 Euro.
     Die Karten verkaufte sie in eigener Regie auf ihrer »Ticket to Munich-Tour« für 10 Euro das Stück. Die gewagte Kalkulation ging auf: Zum großen Konzert der unbekannten Sängerin kamen 8000 Zuhörer: Vom Kellerplärrer zum Megasänger. Und nebenbei auch das Erfolgsmärchen von einer musikalischen Ich-AG.

Clear dürfte Nachahmer finden, nicht nur im Musikbusiness. Man denke an tausende arme Poeten, ein jeder davon überzeugt, seit Jahren zu Unrecht bei der Vergabe des Literaturnobelpreises übergangen worden zu sein.
     Die Münchner Message von Clear: Mieten Sie sich die heiligen Hallen der schwedischen Akademie in Stockholm, lesen Sie dort aus Ihrem verkannten Werk, lassen Sie König Karl Gustav gegen Bares die Laudatio halten, soll die ganze Welt teilhaben an einer literarischen Alternative, die Sie, ja Sie, verkörpern.

Man spürt bereits die Kraft der positiven Vorstellung – die vor nichts halt machen mag. Auch nicht vor dem Kanzleramt. Mit Courage, Kohle und einer guten Kampagne könnten Sie ein aussichtsreicher Kandidat sein. Man denke an Bush. Ein kleiner Rückschritt für die Menschheit, aber für Sie ein großer Schritt vom Stammtisch zur Kapitale.
     Und wer weniger dem Weltlichen zugewandt ist ... denken Sie daran, auch der Vatikan ist letztendlich ein großes Wirtschaftsunternehmen. Nicht mit 60.000 Euro, aber vielleicht mit 100.000 Euro könnte der heilige Stuhl für einen Tag zu mieten sein. Springen Sie ein, wenn Johannes Paul wieder einmal unpässlich ist, auch Gott könnte es Ihnen danken. Nach Ihrer Rückkehr aus Rom sähen Ihre gläubigen Freunde Sie mit anderen, glänzenderen Augen.

Man sieht: Wie vielfältig Barbara Clears wagemutige Reality-Bühnenshow Schule machen könnte, ist kaum auszudenken.
     Und was kann man ihr selbst noch raten? Vielleicht einen anderen Vornamen. Wie wäre es mit Amanda, Amanda Clear.

Wilhelm Weller


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