Eine Einlage zur Buchstabensuppe von Helmuth Siller Es war spät, als ich abends anlangte. Das Dorf lag im tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das Schloss an. Lange stand ich auf dem Holzsteg der von der Landstraße zum Dorf führt und schaute in die scheinbare Leere empor. Dann ging ich ein Nachtlager suchen; im Wirtshaus war man noch wach, der Wirt hatte zwar alle Betten schon belegt, aber er wollte, von dem späten Gast äußerst überrascht und verwirrt, mich in der Wirtsstube auf einem Strohballen schlafen lassen, ich war damit einverstanden. Einige Bauern saßen noch beim Bier, aber ich wollte mich mit niemanden unterhalten, holte selbst den Strohballen vom Dachboden und legte mich in der Nähe des Ofens hin. Warm war es, die Bauern waren still, ein wenig prüfte ich sie noch mit den Augen, dann schlief ich ein. Aber wenig darauf wurde ich schon gestört. Ein junger Mann, städtisch angezogen, mit schauspielerhaftem Gesicht, die Augen schmal, die Augenbrauen dicht, stand mit dem Wirt vor mir. Die Bauern waren auch noch da, einige hatten ihre Sessel herumgedreht um besser zu sehn und zu hören. Der junge Mann entschuldigte sich sehr höflich, mich gestört zu haben, stellte sich als Sohn des Schlossverwalters vor und sagte dann: »Dieses Dorf ist Besitz des Schlosses, wer hier wohnt oder übernachtet, wohnt oder übernachtet gewissermaßen im Schloss. Niemand darf das ohne gräfliche Erlaubnis. Sie aber haben eine solche Erlaubnis nicht, oder haben sie wenigstens nicht vorgezeigt.« Ich hatte mich halb aufgerichtet, hatte die Haare zurechtgestrichen, sah die Leute von unten her an und sagte: »In welches Dorf habe ich mich verirrt? Ist denn hier ein Schloss?« »Allerdings«, sagte der junge Mann langsam, während hier und dort einer sein Haupt über mich schüttelte, »das Schloss des Herrn Grafen Westwest.« »Und man muss die Erlaubnis zum Übernachten haben«, fragte ich, als wollte ich mich davon überzeugen, ob ich die früheren Mitteilungen nicht nur geträumt hätte. »Die Erlaubnis muss man haben«, war die Antwort und es lag darin ein grober Spott für mich, als der junge Mann mit erhobenem Arm den Wirt und die Gäste fragte: »Oder muss man etwa die Erlaubnis nicht haben?« »Dann werde ich mir also die Erlaubnis holen müssen«, sagte ich gähnend und schob das Bettzeug von mir, als wollte ich aufstehen. »Ja von wem denn?« fragte der junge Mann. »Vom Herrn Grafen«, sagte ich, »es wird nichts andres übrig bleiben.« »Jetzt um Mitternacht die Erlaubnis vom Herrn Grafen holen?« rief der junge Mann und trat einen Schritt weg von mir. »Ist das nicht möglich?« fragte ich gleichmütig. »Warum haben sie mich also gestört?« Nun geriet aber der junge Mann außer sich, »Landstreichermanieren!« rief er, »ich verlange Achtung vor der gräflichen Behörde! Ich habe Sie deshalb gestört um ihnen mitzuteilen, dass Sie sofort das gräfliche Gebiet verlassen müssen.« »Genug des Quatschs«, sagte ich auffallend leise, legte mich nieder und zog das Bettzeug über mich, »Sie gehen junger Mann ein wenig zu weit und ich werde mich morgen noch auf Ihr Benehmen beziehen. Der Wirt und die Herren dort sind Zeugen, sofern ich überhaupt Zeugen brauche. Sonst aber lassen Sie es sich gesagt sein, dass ich der Landvermesser bin, den der Graf hat rufen lassen.« Um welche von den 26 Suppeneinlagen es sich in diesem Text handelt, geht nur aus dem literarischen Kontext hervor. Der Buchstabe selbst scheint im gesamten Text nicht auf. Er verbirgt sich sozusagen vor den Augen des Lesers, genauso wie das Schloss im ganzen Roman unsichtbar bleibt. Und damit habe ich euch, verehrte Freunde vom Literatur-Café, schon einen deutlichen Fingerzeig gegeben. Ich habe in dem Romananfang alle jene Wörter ausgetauscht, in denen der Buchstabe enthalten ist, und den Erzählerstandort gewechselt. HS © 1998 by Helmuth Siller. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten. |