Das B von Alfred Büngen Völlig verstört trat das B in das Geschehen ein. Noch nie durfte es auf einem einzelnen, losen Blatt Papier erscheinen. Bis jetzt hatte es ein tristes Dasein in Schulheften geführt, war Übungselement sich ärgernder Schüler, hingekrizelt und schon bald vergessen. Mal mit Bleistift mehr gekratzt, denn geschwungen, mit dem Kugelschreiber geschmiert oder dem Füller gekleckst. Das Schlimmste jedoch war, es wurde benutzt, ohne ihm Sinn zu verlaiben. Zugegeben, es würde nicht allein auf dem Bogen stehen, vielmehr begleitet von vielen hundert anderen Buchstaben, großen und kleinen. Doch es würde, soviel stand jetzt schon fest, auf dem Bogen, einem einzelnen, losen, stehen, der Basis einer Geschichte sein sollte. Könnt ihr euch denken, was sich in dem B rührte? Es, als Bestandteil einer Geschichte oder gar eines philosophischen Exkurses auf einem einzelnen, losen Blatt Papier. Erstmals Sinn und Zweck, Ausdruck mehr oder weniger gelungener Gedanken. Kaum vorstellbar, welche ungeahnte Möglichkeiten sich boten. Es konnte unzählige Tätigkeiten anführen. Es ließ Menschen beten und Löwen brüllen, natürlich könnte es auch Hunde bellen lassen. In dunklen Nächten würde es einen fürchterlicher Sturm brausen lassen, ganze Schichten der Gesellschaft konnte es benachteiligen oder die Stars in der Manege bejubeln. Doch nicht nur Tatkraft konnte es ausdrücken, es erinnerte auch an die Denker und Dichter dieser Welt. Vielleicht die Kraft eines Bertolt Brechts wiederholen, dem es gleich doppelt voranstand. Verbindung würde es bringen zur vorausschauenden Weisheit eines Ernst Blochs, unendlich die Liste von Erinnerungen, die es bewirkte. Benn oder Böll, Biermann oder Beckett, was wären sie alle ohne es. Noch weiß das B nicht, wozu es der Autor genau benötigt. Es ist noch nicht einmal klar ob es in großer oder kleiner Variante erscheint. Vielleicht, dabei verfällt es ein bisschen in Trauer, wird es aber nur die Mitte oder gar das Ende bilden. Doch, überlegt es rasch und schon ist die Pein verschwunden, was wäre der Schub oder Hub ohne es, oder könntet ihr euch vorstellen ohne es zu subtrahieren oder gar das Haus zu schrubben. So viele Überlegungen verwirren das B, schließlich ist es ein so kompliziertes Sein nicht gewöhnt. Vielleicht, so überlegt es, sollte es sich mit einfacheren Formen des Daseins begnügen, bescheiden sein. Bah oder Buh sind zwar Anfänge des Seins von geringerer Bedeutung, doch immerhin Gefühlsregungen, die jedem vertraut. Die Verstörungen des B hielten an, sie wurden so stark, dass der Autor sich genötigt sah, es aus seiner Geschichte zu streichen. So wurde durch die Veränderung eines kleinen Bogens aus dem geplanten Bad ein Rad der Geschichte. © 1998 by Alfred Büngen. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe - gleich welcher Art - verboten. |